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CITY Lights: Goodbye, Mr. President!

Politik im Kino ist nicht nur dann unterhaltsam, wenn Krieg oder Sex & Crime mit im Spiel sind. Frank Noack findet alles politisch.

Die Filme „Frost/Nixon“ und „Milk“, die demnächst auch bei uns anlaufen, sind bei den Golden Globes völlig leer ausgegangen. Das ändert nichts an der Tatsache, dass sie zu den stärksten und meistgelobten Produktionen des abgelaufenen Jahres gehören und das Vorurteil widerlegen, Politik im Kino sei nur dann unterhaltsam, wenn Krieg oder Sex & Crime mit im Spiel sind. Richard Nixon ist bei einem mehrtägigen Interview zu sehen, in dessen Verlauf er sich um Kopf und Kragen redet, und der Schwulenaktivist Harvey Milk bei der Planung von Kampagnen. So etwas muss schon besonders wirksam aufbereitet werden, um zu fesseln. Es ist in beiden Fällen gelungen und macht Lust auf mehr. Der 79-jährige Dokumentarist Frederick Wiseman, den der „Milk“-Regisseur Gus Van Sant zu seinen Vorbildern zählt, hat ebenfalls die Arbeit der Politiker studiert. Doch er verlangt vom Publikum deutlich mehr Geduld. Verdichtung bedeutet bei ihm, dass 160 Stunden auf 217 Minuten verkürzt worden sind. State Legislature behandelt eine 12-wöchige Sitzungsperiode des Parlaments im US-Bundesstaat Idaho (Sonntag im Zeughauskino). Man wird Zeuge von Diskussionen über Rinderwahnsinn, gleichgeschlechtliche Ehe und Organspenden. Die Abgeordneten sind leidenschaftlich bei der Sache; Wiseman dagegen bleibt neutral. Er will nicht manipulieren, sondern beobachten. So bleiben ihm kommerzieller Erfolg und Oscar-Segen verwehrt, doch ihm geht es um etwas anderes: die Reinheit des Dokumentarfilms, und die Abgrenzung von den überhandnehmenden Pseudo- und Propaganda-Dokus.

Bei Wisemans Verzicht auf Parteinahme stellt sich die Frage, ob sein Film überhaupt politisch ist. Die Politikfrage wird besonders häufig im Zusammenhang mit dem NS-Kino gestellt, mit dem Ergebnis, dass alles irgendwie politisch ist – und somit nichts. Gustav Ucickys Der zerbrochene Krug (1937) war zweifellos als unpolitische Unterhaltung gedacht: Emil Jannings hatte den Dorfrichter Adam drei Jahre zuvor an der Volksbühne gespielt und wollte seinen Erfolg auf der Leinwand wiederholen (Dienstag im Arsenal). Zu einem Politikum wurde der Film, weil der korrupte, lüsterne Dorfrichter sich durch Amtsmissbrauch, sexuelle Belästigung junger Frauen – und einen Klumpfuß auszeichnet. Ähnlichkeiten mit Joseph Goebbels waren rein zufällig. Natürlich hasste der Minister den Film und hätte ihn gern verboten. Aber mit welcher Begründung? Im Fall eines Verbots wäre unweigerlich sein eigener Klumpfuß zur Sprache gekommen, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand. Also musste er hilflos zusehen, wie die Kleist-Adaption für Begeisterung sorgte und noch während des Krieges eine feierliche Wiederaufführung erlebte.

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