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CITY Lights: Rohmer schlägt Hollywood

Silvia Hallensleben besucht Göttinnen von nebenan.

Der 2003 neben dem Hotel Adlon eröffnete China Club Berlin ist ein Refugium exklusiver Lebensart, das – leicht dekadent – vom Mythos der Kolonialgeschichte zehrt. Der Chinaclub Berlin hingegen residiert in einer gardinenverhangenen Ladenwohnung in der Friedenauer Cranachstraße und lädt China-Interessierte zum mittwöchlichen Jour Fixe bei „deutsch-chinesischem“ Gratis-Tee. Doch Distinktion auch hier: Auf der Webseite wird – gegen drei Euro vorab in Briefmarken – die Abholung per „exklusivem Limousinenservice“ geboten.

Diesen Sonntag, 20 Uhr, ließe sich das ausprobieren: Da gibt der Chinaclub eine Sonderveranstaltung zum 75. Todestag der chinesischen Stummfilmdiva Ruan Lingyu, die sich am 8. März 1935 in Schanghai nach einer Schmutzkampagne das Leben nahm. Ein Schicksal, das die Handlung ihres 1934 gedrehten Films New Women anhand des authentischen Schicksals von Ruans Vorgängerin Ai Xia vorwegnahm. Auch die beiden vorher an diesem Tag gezeigten Filme Little Toys und The Goddess schildern tragische Frauenschicksale zwischen Prostitution, übler Nachrede und nationaler Selbstaufopferung. All das zu sehen auf DVDs unterschiedlicher Qualität: Die wenigen erhaltenen Kopien aus dem Pekinger Filmarchiv können sich nur Festivals leisten.

Eine Rarität auch Eric Rohmers TV-Dokumentation Cinéastes de notre temps: Carl Th. Dreyer (1965), die heute im Rahmen der Dreyer-Retro im Arsenal zu sehen ist. Der am 11. Januar gestorbene Rohmer wird dort seit Dienstag selbst mit einer Hommage geehrt, von der hier mit Le beau mariage (1982) und L’ami de mon amie (1986) zwei Filme aus dem Zyklus der „Komödien und Sprichwörter“ empfohlen seien. Beide spielen aufs Schönste mit den Konventionen der romantischen Komödie und sind vorzüglich geeignet, das gern gehegte Vorurteil vom Leinwand-Langeweiler zu konterkarieren. Bei beiden stehen junge Freundinnenpaare im Mittelpunkt. In „Le beau mariage“ (Freitag) wird die heiratswütige Sabine (Béatrice Romand) von ihrer Freundin Clarisse nach bester Jane-Austen-Manier mit einem Anwalt verkuppelt, der auf die Drängelei mit verschärften Fluchttendenzen reagiert. In „L’ami de mon amie“ (Sonnabend) gibt es einen doppelten Männertausch, dessen emotionale Dramaturgie jede Hollywood-Romanze erblassen lässt. Natürlich geht es in beiden Filmen auch um Moral, die sozial und sogar stadträumlich verortet wird. Sabine pendelt zwischen einer Pariser Studentenbude, dem vergammelten elterlichen Vorstadthäuschen und einem Antiquitätengeschäft in der kopfsteingrauen Altstadt von Le Mans. In „L’ami de mon amie“ gibt die postmoderne Pariser Vorstadt Cergy-Pontoise mit ihren Ladenpassagen, Bürokolossen und einem Sozialpalast im Neorenaissance-Stil den Rahmen für die Fragen nach amourösem Tauschwert und erotischer Selbstdarstellung (Kamera: Sophie Maintigneux).

Das Adlernest des Schurken in Karel Zemans ingeniöser Jules-Verne-Verfilmung Die Erfindung des Verderbens (Montag im Passage-Kino) ist in mittelalterlichem Stil errichtet, auch wenn drumherum Fabrikschornsteine um die Wette qualmen. Wir sind irgendwo zwischen Auschwitz und James Bond, Zemans Film ist 1958 in der damaligen Tschechoslowakei entstanden und erzählt eine anti-nuklear friedensbewegte Dystopie, die lange vor Frank Schätzings „Schwarm“ auch die kommerzielle Ausbeutung der Meeresgründe anspricht. Der Film fasziniert aber vor allem durch seine frühe Form der Verbindung von realem Schauspiel mit einer Animationstechnik, die raffiniert den Geist lithografierter 19. Jahrhundert-Illustrationen herbeizaubert und filigrane Pedal-U-Boote in romantische Landschaften setzt. Ein Film aus dem Geist der Zeit, die das Kino gebar.

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