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CITY Lights: Titel, Thesen, Temperamente

Frank Noack beobachtet den Kampf der Geschlechter und Kulturen

Bei der Bewertung eines Films spielt dessen Titel nur selten eine Rolle. Im Idealfall macht ein Filmtitel den Zuschauer neugierig. „Eine unbequeme Wahrheit“ gibt keine Rätsel auf, platter und vordergründiger geht es nicht mehr. Aber eine Komödie Die schreckliche Wahrheit zu nennen, ist schon ein kleiner Geniestreich (Sonnabend im Filmkunst 66). Ihr Schöpfer Leo McCarey hatte vorher zahlreiche Kurzfilme mit Laurel & Hardy sowie den Klassiker „Die Marx Brothers im Krieg“ inszeniert. „Die schreckliche Wahrheit“ handelt ebenfalls von einem Krieg: vom Ehe- und Scheidungskrieg. Cary Grant, bis dahin mit blassen Liebhaberrollen unterfordert, durfte sich zum ersten Mal als Komödiant austoben. Und die damenhafte, vor allem aus Melodramen bekannte Irene Dunne verriet ein ungeahntes Temperament. Heute werden solche Geschichten auf dem Niveau von „Mr. & Mrs. Smith“ erzählt, mit Kinnhaken und Dynamit. 1937 ging McCarey mit so hintergründigem Witz an das Thema, dass er einen Oscar für die Regie bekam – eine Ehre, die Komödienregisseuren selten zuteil wird.

Einem Frauengefängnisfilm den Titel Frauengefängnis zu geben, zeugt nicht gerade von Einfallsreichtum (Mittwoch im Babylon Mitte). Vielfältig sind nur die im Film angewandten Foltermethoden bis hin zum Elektroschock. Während als Herstellungsland die Schweiz angegeben wird, kommen Regisseur und Hauptdarstellerin aus Spanien. Jesus Franco und Lina Romay passen gut zusammen: Er hat im Laufe seiner Karriere über 50 Pseudonyme verwendet, sie immerhin fast 20, unter anderem Lulu Laverne und Betty Carter. Als Künstler spezialisierten sie sich auf sadistische Spiele, aber sie führen seit drei Jahrzehnten eine harmonische Ehe ohne Trauschein. Dieser Umstand verleiht ihren Trashfilmen eine ungewollte Komplexität. Was auf den ersten Blick nach einem typischen Siebziger-Jahre-Schundprodukt aussieht, lässt sich auch als unkonventionelle Paartherapie deuten.

Die von Militärdiktaturen angewandten Foltermethoden beeinflussten parallel den Horror-Sex-Film und den anspruchsvollen Politfilm. Gillo Pontecorvos Queimada (1969) gehört zur zweiten Kategorie und gilt zu Recht als Klassiker des antikolonialen Kinos (Mittwoch im Zeughauskino). Dennoch musste sich der Regisseur auf Konzessionen einlassen. Der von Marlon Brando verkörperte Agent William Walker hatte Mitte des 19. Jahrhunderts in Nicaragua die Einheimischen gegen die spanischen Besatzer mobilisiert, doch aus Rücksicht auf den spanischen Markt mussten die brutalen Unterdrücker als Portugiesen gekennzeichnet werden. Die Wirkung des Films wurde dadurch nicht beeinträchtigt, da Pontecorvo ohnehin nicht Spanien, sondern den Kolonialismus anprangern wollte. Gedreht wurde überwiegend im Kolumbien. Es ist ein mitreißender Film geworden, dynamisch geschnitten, von Ennio Morricone meisterhaft komponiert. Leider war der Privatmann Pontecorvo nicht mit dem Künstler identisch: Den schwarzen Kleindarstellern ließ er geringere Essensrationen zukommen als der weißen Crew. Angeblich brauchten die Einheimischen nicht so viel.

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