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Control

© Capelight

"Control": Der finstere Himmel von Manchester

Monument einer Freundschaft: Der Fotograf Anton Corbijn feiert in „Control“ den Joy-Division-Sänger Ian Curtis. Eine Rezension.

Schwarz steht der Mann in der Küche, ein Monolith der Düsternis. Vor ihm erstrahlt sorgfältig aufgehängte Babywäsche. Zwischen ihrem Weiß und seinem Schwarz gibt es keinerlei Verbindung. Schweigend wendet sich der Mann ab. Einige Monate später wird er sich 23-jährig in eben dieser Küche aufhängen – zwei Tage bevor seine Band zu einer USA-Tour aufbrechen sollte, die wahrscheinlich den internationalen Durchbruch gebracht hätte.

Ian Curtis war Sänger der Band Joy Division. Gegründet 1977 zu Hochzeiten des Punk, arbeitete man bald an dessen Überwindung. Statt immer schneller und lauter zu spielen, wie es damals Mode wurde, drosselten die Musiker das Tempo, benutzten Synthesizer und arbeiteten mit viel Hall. Dazu sang Curtis Texte voll Verlorenheit und lyrischer Schönheit. Mit ihrem verstörenden, finsteren Sound wurden Joy Division zu Pionieren des New Wave und sind bis heute wegweisend für Bands wie Interpol oder Editors.

Einer der Joy-Division-Fans war damals der junge niederländische Fotograf Anton Corbijn. Ihn faszinierte die Musik des Quartetts so sehr, dass er nach London zog, um der Band nahe zu sein. Tatsächlich gelang es ihm, die scheuen Musiker vor die Kamera zu bekommen. Die Aufnahmen wurden berühmt – genau wie Corbijn selbst, der mit seinen Videos und Schwarz-Weiß-Fotos von Bands wie U2, Depeche Mode oder R.E.M. die Pop-Ikonografie der Achtziger prägte.

Für seinen ersten Kinofilm wählt Corbijn nun ebenfalls Schwarz-Weiß, was sich angesichts der düsteren Musik von Joy Division geradezu aufdrängt. Auch die Plattencover und meisten Fotos der Band waren schwarz-weiß. Corbijn sagt, dass sogar seine Erinnerung an sie ohne Farbe sei. In „Control“ demonstriert der Starfotograf, unterstützt von Kameramann Martin Ruhe, auch im Medium Film seine Meisterschaft im Umgang mit Schwarz-Weiß-Ästhetik. So sind die Bandaufnahmen mit klassischer Präzision kadriert, und die Tristesse von Ian Curtis’ Backsteinreihenhaus-Heimatstadt Macclesfield wird in wenigen Einstellungen fühlbar. Ebenso überzeugend ist die Porträtierung des Sängers gelungen, dessen letzte Lebensjahre der Film, basierend auf den Erinnerungen seiner Frau Debbie, nachzeichnet. Curtis verdüstert sich immer mehr. Sieht man ihn zu Beginn mit freiem Oberkörper rauchend in seinem Jugendzimmer David- Bowie-Platten hören, werden Kleidung und Blick im Verlauf der zwei Stunden immer finsterer. In den letzten Einstellungen ist er fast nur noch als Silhouette zu erkennen. Das Schlussbild zeigt schwarzen Rauch, der aus einem Krematoriumsschornstein in den weißen Himmel steigt.

Die fortschreitende Verdunkelung erklärt der Film mit Curtis’ Epilepsie, was Corbijn jedoch nicht dazu verleitet, seinen Protagonisten zu pathologisieren. Beiläufig hält er das Thema präsent, indem er immer wieder Tablettenbehälter ins Bild setzt. Die Diagnoseszene, in der ein Arzt (Herbert Grönemeyer) dem Musiker eine absurd lange Liste mit schweren Nebenwirkungen vorträgt, kann durchaus als Kritik an den damaligen Behandlungsmethoden gelesen werden. Zumindest drängt sich der Gedanke auf, dass Ian Curtis’ Depression und auch sein Selbstmord nicht unbeeinflusst von diesen Medikamenten geblieben sein können, die er überdies mit Alkohol mischte.

„Control“ sucht jedoch nicht nach Gründen für den Suizid oder gar nach Schuldigen. Stets hält er sorgsam Abstand zur Hauptfigur, die so ihre Rätselhaftigkeit und ihre Würde behält. Corbijn versucht nicht, Curtis’ Mythos zu entzaubern, sondern er feiert ihn auf sehr liebevolle, freundschaftliche Weise. Dieser Blick strahlt aus jedem seiner schönen Bilder, und er hält den Film in der Balance. Dabei hilft auch der Humor, den vor allem der großmäulige Manager Rob (Toby Kebbell) einbringt. Zudem federn die übrigen Bandmitglieder – die später als New Order berühmt wurden – die Schwere ihres Frontmanns etwas ab.

Gespielt wird Ian Curtis vom britischen Schauspieler Sam Riley, der zuvor keine nennenswerte Schauspielerfahrung hatte. Er macht seine Sache fantastisch. Im Unterschied zu Michael Winterbottoms (farbigem) Manchester-Musikfilm „24 Hour Party People“, der einen langen Joy-Divison-Teil enthält, zeichnet Riley Curtis als durchaus liebenswerten, etwas verschrobenen und manchmal sprunghaften Schlacks im Parka. Wenn Curtis seiner Freundin Debbie (Samantha Morton) überschwänglich einen Heiratsantrag macht, obwohl beide fast noch Kinder sind, wirkt sein Enthusiasmus ansteckend. Und wenn er später völlig zerrissen zwischen ihr und seiner belgischen Geliebten Annik (Alexandra Maria Lara) umhertaumelt, wird die Verzweiflung geradezu physisch spürbar. Großartig auch, wie Riley Curtis’ roboterhaften Tanzstil spielt, der mitunter nicht von den epileptischen Anfällen zu unterscheiden ist. Überdies kann er auch singen. Die anderen Musiker-Darsteller mussten ihre Instrumente erst lernen. Schließlich beherrschten sie sie so gut, dass im Film ihre Versionen von Joy-Division-Songs wie „Transmission“ oder „She’s Lost Control“ zu hören sind. Das verleiht dem Werk zusätzliche Dichte und trägt dazu bei, es zu einem der gelungensten Musikerporträts der letzten Jahre zu machen.

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