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© x-verleih

''Das weiße Band'': Kein böser Land zu jener Zeit

Sommer 1914 auf dem Dorf: ''Das weiße Band'' – Michael Hanekes Meisterwerk über Autorität und Charakterdeformation kommt ins Kino.

Die Vorschusslorbeeren sind groß: Im Mai die Goldene Palme in Cannes, im August die deutsche Kandidatur für den Auslandsoscar – auch Österreich, Koproduzent und Herkunftsland des Regisseurs, hatte mit dem Film ins Rennen gehen wollen, kam aber eine Woche zu spät. Dilemma der Europroduktionen – und doch die richtige Entscheidung. Denn „Das weiße Band“ ist deutsch, in der spröden Schönheit seiner norddeutschen Landschaft, deutsch auch im Cast, der subtile Könner ihres Fachs versammelt, einen aasigen Ulrich Tukur, einen gefährlich sanften Burghart Klaußner, Susanne Lothar, abgründig gut wie lange nicht, und selbst Steffi Kühnert findet wieder aus der klassischen Sozialkomödie heraus.

Doch vor allem ist dieser Film, der am Donnerstag ins Kino kommt, deutsch vom Geiste her, vom Ungeist des autoritären Vaterstaats, des verbissenen Protestantismus, der latenten Gewalttätigkeit, die bald das ganze Volk erfassen wird. Wenn der Dorflehrer, aus dessen Rückblick alles erzählt wird, orakelt, man habe damals das Kommende spüren können, denkt man den Weg weiter, auch wenn noch knapp 20 Jahre bis zum Ausbruch der Nazi-Barbarei vergehen werden.

Einstweilen aber ist es Sommer, 1914, ein langer, schöner Sommer, und Christian Bergers leuchtende Schwarz-WeißBilder fangen seine Weite in unendlicher Tiefenschärfe ein. Still ist es über den Feldern und im Dorf mit den Sandstraßen, den wuchtigen Backsteinhäusern, der Feldsteinkirche und dem Schloss. Hühner trippeln über die Straße, Kinder gehen von der Schule nach Hause, in verschworenen Gruppen, ernste Kinder, mit streng zurückgebundenen Haaren und hochgeschlossenen schwarzen Blusen.

Das sind Bilder, wie man sie aus der Kunst kennt, aus den aufgeräumten Stuben, den leeren Landschaften der Niederländer, den kargen Interieurs eines Edvard Munch, aber auch aus den existenzialistischen Filmen eines Ingmar Bergman. Und wie Kunstwerke sind auch die einzelnen Einstellungen gebaut, mit Blicken durch Türen, durch Fenster, die als Rahmen stehen bleiben, ein ewiges Spiel mit Drinnen und Draußen, mit Begrenzung und Ausblick, jedes Bild eine Bühne, und gespielt wird das große Stück von Leben und Tod.

„Eine deutsche Kindergeschichte“ verheißt der Untertitel in altdeutscher Schrift – alles andere als ein Idyll. Gewiss besteht die Klasse, die im Zentrum des Films steht, aus artigen Kindern, die Lehrer und Eltern mit Handkuss begrüßen. Auch sind sie schön, mit blonden Locken, klarem Blick, sensiblen Sommersprossengesichtern. Nur eben nicht Kinder, wie man sie heute kennt, Kinder, die lachen und rennen und laut sind und frei. Diese Kinder am Ende des wilhelminischen Zeitalters sind kleine Erwachsene, ernst und dressiert. Allein die Szene, in der die Tochter des Arztes (großartig: Roxane Duran) ihrem kleinen Bruder beim Mittagstisch erklären muss, was tot sein heißt, und dass die Mutter tot sei, und alle Menschen sterben müssen, auch du und ich, das ist ein Weltendrama in fünf Minuten, eine atemberaubende Szene in ihrer Stille und Intensität.

Es ist nicht von ungefähr der Dorflehrer, dessen Stimme, die des alten Ernst Jacobi, aus dem Off durch das Geschehen führt. Denn auch wenn er, der von außen kommt, die sensible Stimme der Vernunft ist, so geht es doch um Erziehung,Autorität und Moral – für Michael Haneke alles Begriffe für ein Macht- und Unterdrückungssystem, das mit leisem, bösem Terror die Welt zerstört. Bald häufen sich dramatische Unglücksfälle im Dorf, Unschuldige werden verletzt, um die Schuldigen dahinter zu treffen: Der sanfte blonde Sohn des Gutsherrn, das behinderte Kind der Hebamme, von dem man munkelt, der Arzt sei sein Vater, und auch der Arzt selber verunglücken, sein Pferd wird von einem zwischen Bäumen gespannten Draht zu Fall gebracht. Und nie wird klar, wer dahinter steckt, obwohl die Vermutung bald überlaut dröhnt. Als der Lehrer schließlich einen Verdacht äußert, wird er mit Entlassung und Gefängnis bedroht. Die Verbrechen bleiben unaufgeklärt.

Aus dieser Verweigerung der Auflösung zieht der Film seine Wucht. Wie so oft bei Haneke, geht es um sinnlose Gewalt, offenbart sich ein finsteres Menschenbild. Wenn selbst die Unschuldigen böse sind, die Starken herzlos und die Kinder alt, dann ist die Welt nicht mehr zu retten mit Kategorien wie Mitleid und Vergebung. Kein Wunder, dass in der Mitte dieses fundamentalistischen Universums als härteste, stärkste Figur der Pfarrer siedelt, gespielt von Burghart Klaußner, so gut wie nie. Das Regime, das dieser Mann über seine Kinder ausübt, denen er weiße Bänder ins Haar bindet, als Zeichen und zur Sühne der verlorenen Unschuld, argumentiert mit Moral und ist doch schwärzeste Pädagogik.

Wie überhaupt die Welt der Autoritäten kopfsteht in diesem Dorf, wo der Arzt (Rainer Bock) seine Geliebte (Susanne Lothar) demütigt und die eigene Tochter bedrängt und wo der Gutsherr (Ulrich Tukur) unter dem Mantel der Fürsorge nur Gleichgültigkeit verbirgt und Misogynie. Und selbst dem einzigen sanften Gegenbild der zauberhaft schwebenden Liebe zwischen dem Dorflehrer und dem Kindermädchen Eva (Leonie Benesch) gönnt Haneke keine Erfüllung.

Das ist ein gleichgültiger Gott, der seine Vertreter hier so wirken lässt, und ebenso gleichgültig agiert auch der Regisseur, der am Ende die Welt laufen lässt, wie sie will. Noch einmal singt der Kirchenchor „Ein feste Burg ist unser Gott“, und die jungen Männer sitzen geschmückt in der Kirche, vorm Auszug in den Krieg. Dann rückt die Kamera immer weiter zurück, und der Film rückt in die historische Ferne, aus der er kam – Zeichen aus einer Zeit, die bis heute weiterwirkt. Ein Meisterwerk.

Christina Tilmann

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