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Kino: Die Welt, eine Osterinsel

Träume, Alpträume, Zukunftsvisionen: Das Festival „ueber morgen“ tourt durch die Republik

In etwa 40 Jahren werden, bei gleichbleibender Bevölkerungsentwicklung, etwa neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Da sie alle Nahrung und Unterkunft brauchen, bedeutet das nach heutigen Erkenntnissen, dass unser Planet sprichwörtlich aus allen Nähten platzen wird. Anzeichen für eine demografische Katastrophe gibt es bereits heute genug: In dem Dokumentarfilm „Unser Planet“ widmet sich ein Evolutionsbiologe der Osterinsel, dem bisher drastischsten Beispiel einer Gesellschaft, die sich aufgrund eines ähnlichen, zwar lokal begrenzten, aber mutmaßlich selbst verursachten Notstands selbst zerstört hat.

Zunächst holzten die Menschen die Wälder ab, zum Bau ihrer Häuser, als Brennstoff und zur landwirtschaftlichen Nutzung. Die Folgen: Die Böden erodierten, die Nahrungsversorgung brach zusammen. Isoliert inmitten des Pazifiks, über 30 000 Kilometer von der nächsten Küste entfernt, ohne Holz für Boote, ohne Fluchtwege vor der ökologischen Katastrophe begannen die Bewohner, das einzige Tier zu jagen, das übrig geblieben war: den Menschen selbst. Tausend Jahre nach der Besiedelung der Osterinseln brach ihre Kultur, von der die weltbekannten Steinstatuen zeugen, vollständig zusammen.

„Unser Planet“ ist einer von 13 Beiträgen, die im Rahmen des Filmfestivals „ueber morgen“ vom 1. November bis Mitte nächsten Jahres durch die Kinosäle der Republik reisen. Verantwortlich zeichnet das Gesellschafterprojekt der Aktion Mensch, das sich nach dem Festival „ueber arbeiten“ nun Fragen der Zukunft zuwendet. Auch „ueber morgen“ wird von 30 bundesweiten und über 1000 regionalen Verbänden und Organisationen getragen und in rund hundert Städten gezeigt. Die Festivalbeiträge setzten sich mit herrschenden Utopien, Träumen und Weltentwürfen auseinander und wollen zum Nachdenken über die Zukunft der Erde anregen.

Leider sind manche der gezeigten Filme deutlich besser gemeint als gemacht. Die schwedisch-norwegisch-dänische Koproduktion „Unser Planet“ etwa ertrinkt zuweilen in clipartig geschnittenen Naturbildern, zwischen denen zahllose Experten Plakativ-Bedrohliches zum Besten geben. Auch der Musikteppich nervt. Im Gedächtnis bleibt da nur wenig, etwa die Binsenweisheit, dass Tier- und Naturdokumentationen gemeinhin eine heile Welt vorgaukeln, die es so schon lange nicht mehr gibt. Auch der polnische Beitrag „Der Duft des Paradieses“, der sich recht oberflächlich mit dem Islam und etwas eingehender mit den psychologischen Kriegsfolgen von Tschetschenen-Kämpfern beschäftigt, fällt flach aus.

Zu den Perlen des Festivals gehören hingegen „I broke my future – Paradies Europa“ über das Leben afrikanischer Asylbewerber in Deutschland – sowie allen voran der amerikanische Dokumentarfilm „Jesus Camp“, der rechtsgerichtete Evangelikale in den USA porträtiert. Sie kämpfen gegen Abtreibung, gegen Pluralismus und staatliche Sozialmaßnahmen, sie streiten für die Ausweitung der Todesstrafe. In Einwanderern, aber auch in naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächern sehen sie eine Bedrohung für die amerikanischen Werte – und trotzdem drängen sie in den USA systematisch in politische Machtpositionen. Vor allem die „Erziehung der neuen Generation“ haben Fundamentalisten wie die Pastorin Becky Fischer im Blick, die Sommercamps für 5- bis 12-Jährige organisiert. Zu sehen sind Mädchen und Jungen, die von ihren Familien aus den Schulen herausgenommen wurden und zu Hause lernen, dass die nahende Klimakatastrophe nur ein Hirngespinst ist und dass während der aufwiegelnden Predigten im Sommercamp der Heilige Geist von ihnen Besitz ergreift. An anderer Stelle müssen sie für George Bush beten, der als lebensgroße Pappfigur anwesend ist. Fischer weiß, wie sie in die Köpfe, Bäuche und Herzen der kleinen Menschen kommt: nicht mit Büchern, sondern mit Spielzeug und Musik. So übernehmen Barbie und Ken die Rollen von Adam und Eva. „Demokratie und Freiheit zerstören sich selbst“, davon ist die resolute Kinderpastorin überzeugt. Ihre Zöglinge missionieren auch schon eifrig auf Straßen und in Bowlingcentern die Ungläubigen oder schieben mit zugeklebten Mündern Mahnwachen vor Gerichten. Ist das die Zukunft unseres Planeten – die Welt von Übermorgen?

1.–11. November im Broadway und Filmtheater am Friedrichshain. Informationen: www.diegesellschafter.de/uebermorgen

Nino Ketschagmadse, Oliver Renn

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