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Elegy

© Tobis

Elegy: Späte Liebe

Das erotische Melodram "Elegy" nach dem Roman "Das sterbende Tier" von Philip Roth huldigt dem Begehren reifer Männer aus weiblicher Sicht.

Nennen wir es die poetische Gerechtigkeit der Filmgeschichte. Weil Frauen kaum Zugang zu kreativen Schaltstellen hatten, lag das Melodrama fast ein Jahrhundert lang in Männerhand. Ausgerechnet das emotionalste aller Genres, gerichtet an ein weibliches Publikum und als women’s weepie verschrien, wurde von Regisseuren wie D. W. Griffith, Max Ophüls oder Douglas Sirk dominiert.

Heute schwingt das Pendel in die andere Richtung. Immer weniger Männer lassen sich das Weinen im Kino von Geschlechterstereotypen untersagen. Andererseits stammen die aufwühlendsten Melodramen von Frauen – der Dänin Susanne Bier und die Spanierin Isabel Coixet. Logisch, dass Hollywood sich eines Tages melden würde.

Im Zentrum von „Elegy“ – nach Philip Roths Roman „Das sterbende Tier“ – steht der New Yorker Literaturkritiker und Dozent David Kepesh. Auch im fortgeschrittenen Alter hat er noch starke Wirkung auf Frauen – und er nutzt diesen Vorzug etwa bei seinen Studentinnen weidlich aus. Bei der schönen Consuela aber macht er einen Anfängerfehler: Er verliebt sich. Ausgerechnet einer, der sein Leben nach dem Metronom taktet, stürzt sich in das große Wagnis. Und schon gerät seine gutsortierte Individualistenwelt in Schieflage – und die der 30 Jahre jüngeren Consuela ebenso.

Schon nach der Lektüre von Philip Roths Vorlage hatten einige Kritiker (und Kritikerinnen!) „Altherrenfantasie!“ gestöhnt. Dabei enthält der Begriff nicht einmal ein ästhetisches Urteil, sondern verschleiert häufig bloß ein diskriminierendes Unbehagen. Dass auch in ergrauten Männern noch erotisches Feuer lodert, weckt offenbar Angst und Abscheu. Dahinter steckt auch der Ekel vor einer der wenigen noch tabuisierten Formen der Sexualität: dem Sex des gealterten Körpers. „Elegy“ breitet das Thema des späten Begehrens offen aus.

Man sollte sich von den eleganten Hell-Dunkel-Bildern, den gleitenden Kamerafahrten, den gepflegten Erik-Satie-Stücken und dem feinen Manhattan-Look nicht täuschen lassen; „Elegy“ steht Coixets Arbeiterklassemelodramen „Mein Leben ohne mich“ (2003) und „Das geheime Leben der Worte“ (2005) thematisch in nichts nach. Erneut meditiert sie einfühlsam über das Leid, das die Vergänglichkeit des Körpers über menschliche Beziehungen bringt.

„Elegie“ heißt Klagelied. Doch der Film hätte genauso gut „Memento mori“ heißen können. Gewiss, das barocke Motiv, gerade angesichts des Todes das Leben zu feiern, steckt schon in Roths grandiosem Roman. Coixet aber überhöht es noch – mit der betörenden Sinnlichkeit ihrer Bilder. Und: Sind nicht Schönheit und Vitalität der Darsteller – der wunderbare Ben Kingsley und die unfassbar schöne Penelope Cruz – genau jene Währungen, mit denen das Hollywood-Kino seit jeher so unvergleichlich verführerisch zu handeln weiß?

Capitol, Cinemaxx Potsdamer Platz, Delphi, FT Friedrichshain, Kulturbrauerei, Yorck; OV Cinestar SonyCenter, OmU Hackesche Höfe und Odeon

Julian Hanich

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