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Fantasy-Filmfest: Das Schreien der Lämmer

Splatter, Slasher, Sensationen: Das 21. Fantasy-Filmfest taucht in die Unterwelt der Vorstellungskraft.

Wie kommt der Mann auf den Gitterzaun? Er liegt da, ausgestreckt, von mehreren Spitzen durchbohrt. Nach einem Unfall oder Selbstmord sieht das nicht aus, eher nach einem Happening. Es interessiert auch niemanden, warum der Mann da liegt. Er stört das Stadtbild, er muss weg. Zwei Arbeiter holen ihn herunter. Dabei bricht der Körper auseinander, Innereien kleckern auf den Bürgersteig. Für die Arbeiter ist das kein Grund zur Panik. Für sie macht es keinen Unterschied, ob sie einen Toten oder Graffiti entfernen. Ekel ist ihnen fremd.

Der norwegische Regisseur Jens Lien führt in „Anderland“ („The Bothersome Man“) eine schöne neue Welt vor, in der alle Menschen zufrieden sind und die wenigen Zweifler ausgemustert werden. Der Büroangestellte Andreas ist so ein Zweifler. Ihm kommt es merkwürdig vor, dass in dieser Welt nichts riecht oder schmeckt. Man sieht auch nirgendwo Kinder. Wie kommt man von hier weg? Für einen Augenblick wirkt „Anderland“ wie eine Allegorie auf die DDR: Durch das Loch in einer Mauer entdeckt Andreas eine sinnliche, farbenfrohe Welt, doch seine Fluchtpläne stoßen auf Unverständnis. Warum will er weg, wenn es hier alles Nötige gibt? Dabei verzichtet Jens Lien auf platte Zivilisationskritik. Sein Film lädt zur Identifikation ein und bleibt doch bis zuletzt rätselhaft. Er ist gruselig, lustig, traurig und wirkt an keiner Stelle überambitioniert.

Das kleine Filmland Norwegen hat in Multiplexen selten eine Chance und kann im Wettbewerb von A-Festivals, wo seine Produktion am aufmerksamsten wahrgenommen wird, vor allem mit künstlerisch anspruchsvollen Autorenfilmen glänzen. Manchmal finden diese Werke – aktuelles Beispiel: Joachim Triers „Auf Anfang“ – auch ins Kino. Das 21. Fantasy-Filmfest, das derzeit in Berlin Station macht, zeigt Norwegen von einer anderen Seite: Neben Liens „Anderland“ ist es auch mit Roar Uthaugs Schocker „Cold Prey“ vertreten, der die bekannte Geschichte einer dezimierten Gruppe erzählt. Eine Genreübung mit ganz gewöhnlichen Menschen: Sie kämpfen nicht gegen innere Dämonen, sondern gegen Eis und Schnee – und einen erbarmungslosen Schlächter.

Neuseeland, lange im Schatten des benachbarten Australien, hat sich dank Peter Jackson zu einer führenden Filmnation entwickelt. Aus Neuseeland kommt Jonathan Kings „Black Sheep“, in dem Umweltaktivisten ein geklontes Schaf entführen und nichtsahnend eine Katastrophe herbeiführen. Wir lernen Schafe kennen, die erbarmungslos zubeißen, statt sich zur Schlachtbank führen zu lassen. Selbst schuld an ihrem blutigen Ende sind die Stuntleute in Chris Stapps „The Devil Dared Me To“, wo fast jeder Stunt misslingt und der „Jackass“-Humor die Schockwirkung noch unterstreicht. Aus dem kleinen Belgien kommt die große Geschmacklosigkeit „Ex Drummer“, Koen Mortiers Adaption von Herman Brusselmans Roman. Darin tritt ein Star-Kritiker einer Punkband bei, deren Mitglieder behindert sind und groteske Dinge tun. Gewalt gegen Frauen ist selten so drastisch inszeniert worden wie hier, dennoch hat der Film bislang wenig Aufsehen erregt. Vielleicht ist er zu wild, zu laut; seine Provokationen ermüden.

Als unerträgliche Provokation war 1992 das Skinhead-Drama „Romper Stomper“ empfunden worden. Ihm verdankte der Hauptdarsteller Russell Crowe seinen internationalen Durchbruch, aber der Regisseur Geoffrey Wright fand kein geeignetes Nachfolgeprojekt. Auf dem Fantasy-Filmfest ist er nun mit einer schrägen „Macbeth“-Bearbeitung vertreten, bei der sich die Gewalt in erster Linie gegen Shakespeares Sprache richtet: Sie wurde in australischen Slang übertragen.

Ein weiterer Verlorener des Kinos, William Friedkin, meldet sich mit dem Kammerspiel „Bug“ zurück, in dem Ashley Judd als einsame Kellnerin einem Irakkriegsveteranen aufs Hotelzimmer folgt. Er behauptet, Opfer eines medizinischen Experiments geworden zu sein. Käfer kriechen durch seinen Körper. Sie glaubt ihm, spürt selbst die Käfer. Und immerhin – der Zuschauer, der sich auf dieses klaustrophobische Drama einlässt, verspürt ebenfalls ein verstörendes Kribbeln.

Bis 22. August, Babylon Mitte, Cinemaxx am Potsdamer Platz, Kulturbrauerei. Details: www.fantasyfilmfest.com

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