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Fellini-Buch: Fremd in den eigenen Träumen

Bilder einer Einstellung: Tullio Kezichs Werkgeschichte "Federico Fellini – Das Buch der Filme“.

Noch ein paar Wochen in das gefühlt neue Jahrzehnt hinein, und die Uraufführung dieses unvergänglich modernen Films in Rom ist – am 3. Februar – 50 Jahre alt. Die bei den Dreharbeiten gerade 14-jährige Valeria Ciangottini hat in „La dolce vita“ zwei umwerfende Szenen. Zunächst begegnet sie, als Kellnerin Paolina, dem völlig übernächtigten, durch das hysterische Society-Geschehen taumelnden Reporter Marcello in einer sonnendurchfluteten Trattoria. Und als Marcello mit einer Gruppe von Nachtschwärmern frühmorgens die Ankunft von Fischern beobachtet, steht sie jenseits einer Flüsschenmündung am Strand, nah und sehr fern, und lächelt dem Fremden vom Vortag zu: Abschiedsbild, Traumbild, Gegenbild eines anderen, glücklicheren Planeten.

Dieser Filmschluss, dem der angesichts des zauberhaften Mädchenlächelns unstet herumblödelnde und sich bald in der Gruppe verlierende Marcello Mastroianni eine unsterblich zartbittere Note gibt, gehört zu den Lieblingsszenen aller Kinoromantiker – und er hat offenbar auch seinen Erfinder und Regisseur bis in die Träume begleitet. Federico Fellini schrieb seine Nachtträume nicht auf, sondern zeichnete sie – leichthin mit unerhört begabtem Strich und elegant hingeworfenen Farben. In einem solchen Traum erscheint er sich selber als schmaler Mann in Lila, der mit seinem Produktionsgeschäftsführer Clemente Fracassi die kleine Valeria in ein Bordell begleitet, das ausgerechnet von Sophia Loren geführt wird: Ein Trio magerer Fremdlinge tappt da in jene feminin prallrunde Obsessionswelt voran, die man gemeinhin – und grobschlächtig – mit dem Namen Fellini kurzschließt. Ja, wahrscheinlich war der große Regisseur selber ein Fremder in den eigenen Träumen, so fremd in der Welt wie sein Held Marcello. Was nicht heißt, dass man sich darin nicht angemessen zu bewegen wüsste.

Auf derlei Fährten führt der Bildband „Federico Fellini – Das Buch der Filme“ seine Leser, oder sollte man besser sagen: seine Drinversinker? Das Prachtwerk, das bei tieferem Hinsehen eher wie ein liebevoll zusammengestelltes Familienalbum wirkt, ist das Vermächtnis des Fellini-Freundes und Fellini-Biografen Tullio Kezich, der unlängst im Alter von 80 Jahren starb. Berühmt war Kezich aber vor allem als Filmkritiker: Zuletzt schrieb er etwa zu den Filmfestspielen in Venedig, deren über 60 Jahrgänge er alle besucht hatte, im „Corriere della sera“ nur mehr Randspalten; aber sie vor allem waren der Grund, weshalb das von Society-Festivalberichten überquellende Blatt dann doch beachtet wurde.

In seinem Buch, das alle Fellini-Filme von „Luci del varietà“ (1950) bis „La voce della luna“ (1990) chronologisch vorstellt, stellt Kezich sich ganz in den Dienst des Meisters. Einer kurzen Produktionsgeschichte folgt stets, fast im Protokollantenton, die ausführliche Darstellung des Filmgeschehens, und den Abspann macht ein meist knapper Blick auf den Erfolg – oder häufig: Misserfolg – der jeweiligen Filme.

Dabei birst der opulente Band, angereichert mit Setfotos, Zeitdokumenten und Fellinis großartigen Skizzen, nur so von Trouvaillen. Den aus einem anfänglichen Skandal erwachsenden Erfolg von „La dolce vita“ etwa, der bald durch die Goldene Palme von Cannes gekrönt wurde, dürfte nicht unbeträchtlich ein Verdikt des Bischofs von Padua beflügelt haben. Der geißelte den Besuch des Films kurzerhand als „Todsünde“, mit der segensreichen Einschränkung: „Wer den Film ausschließlich zu Studienzwecken sehen möchte, benötigt hierfür die besondere Erlaubnis seines Beichtvaters.“

Tullio Kezich. Federico Fellini. Das Buch der Filme. Schirmer/Mosel München 2009, 320 S., 58 €.

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