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Festival Venedig: Schöne Männer, starke Frauen

Filme von Rivette, Denis und Chéreau – und der Glamour von George Clooney. Das ist der Wettbewerb von Venedig.

Sie sitzt auf dem Motorrad, roter Staub wirbelt, die blonden Haare flattern im Fahrtwind, und es ist das einzige Mal, dass sie richtig glücklich aussieht, in diesem Film, der ein einziger langer, verzweifelter Lauf durch die Finsternis ist. Isabelle Huppert spielt eine Kaffeeplantagenbesitzerin in Claire Denis’ „White Material“, und gerät mit dem Versuch, ihre Ernte zu retten, mitten in einen afrikanischen Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen und Aufständischen. Und während alle anderen Weißen fliehen, will sie bleiben, diese schmale, zarte Frau, die sich ihrer Plantage so verwachsen fühlt, dass sie die mörderische Realität nicht mehr begreift.

Oder nehmen wir Jane Birkin, die in Jacques Rivettes melancholisch-theatralischer Altersballade „36 vues du Pic Saint Loup“ mit einem Kleinzirkus durch Südfrankreich tourt, jeden Abend vor halbleeren Bänken spielt, und eine ähnliche zerbrechliche Hartnäckigkeit zeigt, eine Entschlossenheit, nichts mehr an sich heranzulassen. Und es muss schon der etwas aufdringlich wohlmeinende Sergio Castellitto kommen, der dem Zirkus einige Tage folgt und irgendwann aus Jane Birkins schmalem, herben Gesicht ein Lächeln zaubert, das magischer ist als alle Zirkustricks zusammen.

Und die dritte im Bunde ist Charlotte Gainsbourg, die in Patrice Chéreaus langatmiger Psychostudie „Persécution“eine junge Frau spielt, die mit ihrem Freund (Romain Duris) eine liebevolle Distanzbeziehung führt. Und als er, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt und durch das Auftauchen eines Stalkers völlig aus der Bahn geworfen wird, mit ihrer Souveränität nicht mehr klarkommt, verlässt sie ihn, mit einer Zärtlichkeit, die ein letzter, schöner Liebesbeweis ist. Nur, dass die Liebe irgendwann das Leben nicht mehr trägt.

Drei französische Filme im Wettbewerb von Venedig, dreimal verletzliche und doch unendlich starke Frauen. Claire Denis ist dabei der eindrucksvollste Beitrag gelungen – wenn man die blondlockige Regisseurin, die wie sonst nur Kathryn Bigelow in ihren Filmen einen Sinn für Kriegs- und Männerposen zeigt, auf der Pressekonferenz erlebt, wirkt sie wie ein Alter Ego von Isabelle Hupperts Filmfigur. Afrika war ihr, die als Kind einige Jahre dort lebte, schon immer eine Herzensangelegenheit, und die Konsequenz, mit der sie Fragen von Kolonialismus und Rassismus – „White Material“ ist der verächtliche Name der Afrikaner für die weißen Siedler – behandelt, macht sie zu einem der wenigen Löwenkandidaten bislang.

Und während das europäische Feld ganz den Schauspielerinnen gehört, liefert sich Amerika einen Wettbewerb darum, welcher Superstar sich hässlicher, abgewrackter, dämlicher präsentiert. Richard Gere, der sich in Antoine Fuquas „Brooklyn’s Finest“ als Cop kurz vor der Pensionierung müde und desillusioniert durch die täglichen Straßenkonflikte schlägt, ist da noch die milde Variante, verglichen mit dem dauerberauschten Nicolas Cage. Matt Damon hingegen hat sich für Steven Soderberghs schwarze Komödie „The Informant!“ 15 Kilogramm angefressen und gibt als Mark Whitacre eine seiner stärksten Performances als leitender Angestellter, der Anfang der Neunziger mit dem FBI zusammenarbeitet, um illegale Preisabsprachen seiner Firma anzuzeigen. Während Mark sich als Held fühlt – der Film spielt, bis in die Filmmusik, mit dem James-Bond-Motiv – stellt sich heraus, dass er eine Borderline-Figur ist, die mit unendlichen Lügen und Betrug alle anderen an der Nase herumführt.

Wirtschaftskriminalität und Preisabsprachen, das berührt erneut das Thema der Zeit, wie schon Michael Moore, wie auch Oliver Stone, zu dessen Galavorführung von „South of the Border“ am Montag Venezuelas Präsident Hugo Chávez persönlich erschien und auf dem Lido für bislang ungekannte Aufregung sorgte. Soderbergh jedoch hatte seinen so aktuell wirkenden Film seit sieben Jahren geplant – gemeinsam mit George Clooney, der als Co-Produzent firmiert und dann seinerseits am Dienstag auf dem Lido seinen großen Auftritt hat. Schon im Vorfeld war in der Yellow Press hauptsächlich darüber spekuliert worden, ob er wohl seine neue Flamme Elisabetta Canalis mitbringen würde, und sowohl Brad Pitt als auch ein lässig braungebrannter Matt Damon hatten im Vorfeld gespottet, es könnte ja auch sein, dass George stattdessen einen Freund mitbrächte.

Stattdessen präsentiert er außer Konkurrenz „The men who stare at goats“, eine respektlose Parodie auf den amerikanischen Irakeinsatz, bei der ein HippieSoldat, der sich für einen Yedi-Ritter hält (Clooney), ein ehrgeiziger Journalist (Ewan McGregor) und ein langhaariger Guru (Jeff Bridges) im Namen von Frieden und Liebe in den Irakkrieg ziehen und am Ende mit Hilfe von Blumen und LSD gefangene Ziegen und Häftlinge befreien. Ein böser Spaß nicht ohne ernste Untertöne: „Das Böse hat die Macht übernommen“, heißt es am Schluss des Films, als die friedliche Mission gescheitert ist. Und als sei das nicht genug der surrealen Szenen, ist nach Ende der Pressevorführung der ganze Kanal vor dem CasinoEingang mit Taxis voller Paparazzi, Polizeibooten und monströsen schwarzen Security-Schlauchbooten blockiert, und George schwebt ein, schön wie immer. Commander, übernehmen Sie.

Christina Tilmann

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