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Film: Der große Hokuspokus

Heldin unter Hypnose: "Caótica Ana"– Julio Medem erkundet die weibliche Seele

So wie manche Speisen nach üppigem Mahl schwer im Magen liegen, spuken einem manche Filme merkwürdig nachhaltig durch den Kopf. Es sind nicht gerade die besten, die finden gleich ihr Zuhause in Herz und Hirn, es sind aber auch nicht die übelsten, die in der Regel flink dem rückstandsfreien Bilderverdauungsprozess entgegenstreben. Es sind vielmehr die ehrgeizig misslungenen; angeregt arbeitet die stets veredelungssüchtige Fantasie an ihnen herum und lässt erst nach einer Weile von ihnen ab - enttäuscht, gewiss, vor allem aber erschöpft.

Der Baske Julio Medem ist ein Experte für diese Art Filme: Immer wieder macht er neugierig auf seine Abenteuerreisen durch die menschliche Seele, und immer wieder ist das Ergebnis zu viel und zu wenig zugleich. Ob "Tierra", "Die Liebenden des Polarkreises" oder "Lucia und der Sex": Stets verführt er mit schönen Menschen, die an schönen Orten schöne Dinge tun - und überfordert bald auch den dechiffrierungslustigsten Zuschauer mit seinen verkopft zwischen Wirklichkeit und Halluzination zusammengepuzzelten Stories, die auch nach der letzten irrwitzigen Volte unbedingt noch einem großen Plan gehorchen mögen.

Obsessiv treibt der heute 50-jährige Regisseur, der ursprünglich Psychotherapeut werden wollte, seine Geschichten um Familie und Liebe, um Sex und Traum und Tod in filmische Leitmotive zwischen Himmel und Erdmittelpunkt, deren metaphorische Ergiebigkeit er bis zum Äußersten auspresst. In "Die Liebendes des Polarkreises" etwa sind es die Piloten, die in voller Montur in Bäumen hängen, in "Lucia und der Sex" droht den Protagonisten der Sturz durch magische Felslöcher auf Formentera. Und der Zuschauer, bombardiert mit Bildern von faszinierender, selten aber sich entladender Bedeutungsschwangerschaft, entsteigt dem Kinosessel wie einem aufregend ramponierten Karussell.

"Caótica Ana" immerhin macht, schon vom Titel her, klaren Prozess: Verfechter der kritischen Vernunft mögen bitte draußen bleiben. Mehr noch: Im Ambiente seiner auch zoologisch stets ergiebigen Bilderwelt, in der diesmal Falken, Tauben und Langusten ihr hochsymbolisches Unwesen treiben, rückt Medem erstmals den innersten Antrieb seines Schaffens ins dramaturgische Zentrum. Nicht auf kunstvollen Umwegen verhext er seine Zuschauer, sondern lässt gleich seine Heldin Ana (Manuela Vellés) meist hypnotisiert durchs Bild laufen.

Die manische Herausforderungslust bleibt

Zunächst wird die in einer Hippie Höhle auf Ibiza aufgewachsene Jungmalerin von Mäzenin Justine (Charlotte Rampling) in deren Madrider Nachwuchskünstlervilla eingeladen. Dort verliebt sie sich in den hypersensiblen Said (Nicolas Cazalé) und fällt nach dessen plötzlichem Verschwinden in die Hände des ebenso sanften Hypnotiseurs Anglo (Asier Newman). Schon steht dem Hokuspokus nichts mehr im Wege.

Die großangelegte Erkundung der weiblichen Seele, in den von Ana gesichteten gewaltsamen Toden anonymer junger Frauen quer durch 4000 Jahre Menschheitsgeschichte, geht allerdings gewaltig daneben. Nicht nur, dass die schreckgeweiteten Augen Anas meist für jene Horrorvisionen herzuhalten haben, die doch selber die filmische Herausforderung gewesen wären; auch die tiefernst deklamierten Dialoge tendieren zur Ungenießbarkeit.

Vor allem in der Künstlerkommune wird in staubiger Flugblattsprache herumpolitisiert, und den grobschlächtigen Anti-Macho-Sprüchen einer Freundin Anas steht reichlich umstandslos Anas eigenes Selbstverständnis als zartes Weibchen gegenüber, das darüber jubelt, "endlich von einem Mann genommen" worden zu sein. Auch dass Ana vom netten Dreadlock-Girlie zur wirr dreinblickenden Sex-Terroristin mutiert, die - getarnt als williges Zimmermädchen - einen bösen Irakkriegs-Profiteur fäkal besudelt, gehört zu den weniger hypnotischen Pointen eines sich immer aufregender gebärdenden Geschehens.

So bleibt diesmal von der Völlerei des cineastischen Gourmands Medem nur ein in seiner manischen Herausforderungslust verblüffend bescheidener Film - so naiv und kunstgewerblich wie Anas mit Wachsmalkreide hergestellte Bilder. Doch was wäre der so oft auf Schmalkost gesetzte Speiseplan des Alltagskinos ohne dieses gelegentliche Vielzuviel.

Broadway, FT Friedrichshain, Moviemento, OmU im Odeon

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