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Film über John Lennon: Der Junge mit der Brille

"Nowhere Boy": Ein Spielfilm über John Lennons dramatische Jugend. Aaron Johnson spielt den jungen Lennon als pubertierenden Rock-n-Roll-Rebellen.

Das Drama seiner Kindheit hat John Lennon in seinem allertraurigsten Hit zusammengefasst: „Mother you had me / But I never had you.“ Ein Song wie ein Aufschrei, entstanden zu einer Zeit, als der Sänger mit einer Urschreitherapie bei Arthur Janov seine Seelenqualen zu lindern versuchte. Er läuft im Abspann des Films „Nowhere Boy“, der Lennon so zeigt, wie wir ihn noch nicht kannten: als sarkastischen Schüler und pubertierenden Rock-’n’-Roll-Rebellen, unsicher seinen Weg suchenden Möchtegernkünstler. Seinen Vater lernte er kaum kennen, als Lennon fünf war, gab die überforderte Mutter den Sohn zu ihrer Schwester Mimi. Die Mutter starb bei einem Unfall, da war er 17. Sie hatten gerade begonnen, sich einander wieder anzunähern. „Es war das Schlimmste, was mir je widerfahren ist“, sagte Lennon später.

Liverpool ist in den späten fünfziger Jahren eine triste, abgetakelte Stadt, in der die Erwachsenen ein strenges Regiment aufrechtzuhalten versuchen und dabei zunehmend lächerlich wirken. „Dein Weg wird im Nirgendwo enden“, prophezeit der Rektor dem Schüler John, der mit Pornoheften erwischt worden ist. John reagiert schlagfertig: „Leben im Nirgendwo viele Genies?“ Es herrscht fast noch viktorianische Verklemmtheit, Gefühle werden unterdrückt, Trauer ist unerwünscht. Als der lebenslustige Onkel mit einem Herzinfarkt zusammenbricht, gibt die strenge Tante Mimi eine Durchhalteparole aus: „Jetzt gibt es nur noch uns, wir müssen einfach weitermachen.“ Bei der Beerdigung taucht eine rothaarige Frau hinter den Gräbern auf, es ist Johns Mutter Julia, die schockierenderweise jahrelang nur ein paar Blocks entfernt gelebt hat.

Lennon, gespielt von Aaron Johnson, ist bereits als Schüler ein Hipster, geübt in der Kunst der Selbststilisierung. „John, die Brille!“, ruft ihm seine Tante allmorgendlich hinterher, damit er die ungeliebten Augengläser aufsetzt. Kristin Scott Thomas porträtiert diese Tante Mimi als kontrollfanatische Superhausfrau. Als der Neffe sie einmal zu umarmen versucht, wehrt sie ab: „Sei nicht albern.“ Es gibt einen Weg, der herausführt aus Repression und Reihenhaushölle: umgekrempelte Röhrenjeans, Elvis-Tolle, laute Gitarren.

Ein paar geklaute Jazzplatten tauscht Lennon bei einem Matrosen gegen eine direkt aus New York mitgebrachte Single ein, eine unglaubliche, von Stöhnen und Schluchzen unterbrochene Nummer: „I Put A Spell On You“ von Screamin’ Jay Hawkins. Und bei einem Ausflug nach Blackpool tanzt er mit seiner Mutter (Anne-Marie Duff) vor einer Jukebox zu „Rocket 88“ von Ike Turner, einem der ersten Rock-’n’-Roll-Knaller. „Weißt du, was das bedeutet, Rock’n’Roll?“, fragt er. Die Mutter weiß es: „Sex“.

„Nowhere Boy“ ist der erste abendfüllende Spielfilm der Konzeptkünstlerin Sam Taylor-Wood, die zu den Young British Artists der neunziger Jahre gehört hatte. Exzentrisch ist er deshalb nicht geworden, das liebevoll ausgestattete Period Piece droht mitunter, in der Nostalgie zu versacken. Doch Drehbuchautor Matt Greenhalgh, der schon das Buch für den Joy-Division-Film „Control“ geschrieben hatte, platziert immer wieder Schockmomente. Eine Rückblende zeigt Lennon als Fünfjährigen, der von seinem Vater, einem Seemann, vor die Wahl gestellt wird: entweder mit ihm nach Neuseeland zu gehen oder bei der Mutter zu leben. John entscheidet sich für den Vater, läuft dann aber unter Tränen der Mutter hinterher.

Der Film beginnt mit dem Gitarrenakkord von „A Hard Day’s Night“, ein Schauplatz ist ein Park namens „Strawberry Fields“. Die Mutter bringt Lennon das Banjospielen bei, die Tante schenkt ihm eine Gitarre. Er gründet eine Band, sie spielt bei einem Kirchweihfest, Paul und George stoßen dazu. Aber der Name Beatles fällt kein einziges Mal. „Wir fahren nach Hamburg“, verabschiedet sich John am Ende von Mimi. „Mit deiner neuen Band?“, antwortet Mimi. Der Rest ist Popgeschichte. Am 8. Dezember 1980, heute vor 30 Jahren, wurde John Lennon in New York erschossen. Der Attentäter hatte sich noch ein paar Stunden vorher ein Autogramm von ihm geben lassen.

„Nowhere Boy“ startet am Donnerstag in den deutschen Kinos.

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