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Jan Schulz-Ojala, Filmkritiker des Tagesspiegels, berichtet in seinem Festival-Tagebuch aus Cannes.

© Mike Wolff

Filmfestival Cannes: "Wall Street"-Sequel: Weil der Mensch eine warme Hütte braucht

jan@cannes, das Festivaltagebuch: Der Kapitalismus mag am Ende sein, dem kapitalismuskritischen Hollywoodfilm geht es vorzüglich. Oliver Stone stellt in Cannes seine "Wall Street"-Fortsetzung vor.

Eines womöglich nicht mehr fernen Tages, nachdem die Volkswirtschaften die Banken gerettet haben und die Banken zum Ausgleich die Volkswirtschaften zerstört und sich endlich selbst ruiniert, will der Mensch ins Museum des Kapitalismus gehen. Cannes wäre dafür der richtige Ort: Ein Zaun um die von ihren Einwohnern verlassene Stadt genügt. Die nicht enden wollenden Schaufenster-Exponate hätten so klingende Namen wie Bulgari und Chanel, Gucci und Louis Vuitton. Nur Hinweise darauf, wie die Menschen sich damals im Alltag versorgt haben, Bäckereien etwa oder Obstläden oder kleine Supermärkte, würde man vergeblich suchen. Die hatten nach und nach aufgegeben, nicht lange vor dem letzten großen Crash.

Einstweilen lässt sich in Cannes, wo der Luxus und die Moden noch florieren, die Zeit wunderbar mit Ausblicken auf die Apokalypse vertreiben. Mit Oliver Stones "Wall Street – Geld schläft nicht" zum Beispiel, der Fortsetzung seines Kinohits von 1988, wieder mit Michael Douglas als Gordon Gekko in der Hauptrolle. Eigentlich sollte der Film weltweit schon im April starten, aber dann kam die Einladung aus Cannes, und der Regisseur zeigt sich bei der Pressekonferenz am Freitag hochzufrieden darüber. "Wissen Sie", sagt Stone zu einem Journalisten, der sich angesichts der Startverschiebung um den Erfolg des Produkts sorgt, "am 23. September kommen wir mitten in den Sturm."

Man muss das nicht falsch verstehen. Oliver Stone nimmt den PR-Effekt eines Weltfestivals gerne mit und hat auch nichts gegen einen Hit, so lange die Leute überhaupt noch Geld fürs Kino ausgeben. Aber er ist ein dezidiert linker Filmemacher. Und ein brillanter Analytiker – oder sollte man börsendeutsch sagen: Analyst? - der Macht. So brillant, dass er dem Oberspekulanten Gordon Gekko damals ein Glaubensbekenntnis des Kapitalismus ins "Wall Street"-Drehbuch geschrieben hat, das zu Tode zitiert sein mag, aber immer noch und immer greller funkelt: "Gier ist nützlich, Gier ist gut, Gier ist ein Motor. Gier klärt die Verhältnisse, Gier geht direkt aufs Ziel zu, Gier ist das Wesen der Evolution. Die Gier in jeder Form – Gier nach Leben, Liebe, Geld, Wissen – ist der Ursprung für den Aufstieg der Menschheit." Mit solchen Sprüchen faszinierte Gekko den braven Nachwuchsbroker Bud Fox (Charlie Sheen) und machte ihn zu seinem Komplizen – bis zum bitteren Ende.

Oliver Stone (l.) und Michael Douglas: "Geld schläft nicht."
Oliver Stone (l.) und Michael Douglas: "Geld schläft nicht."

© AFP

Michael Douglas in der Bestform seines Lebens?

Schon in der Eiseskälte von "Wall Street" war dieses Verhältnis zwischen Mentor und Geschäftszögling als bilateraler Vater-Sohn-Ersatz angelegt. Die Fortsetzung nun will Stone vor allem als "story about family" verstanden wissen. Tatsächlich ist Gordon Gekko, der zu Beginn aus einer achtjährigen Haft entlassen wird, nicht nur einst wegen Insiderhandels aufgeflogen, sondern inzwischen als Familienvater gescheitert: Sein Sohn ging an Crack zugrunde, und Tochter Winnie (schön störrisch: Carey Mulligan) hat mit dem Vater gebrochen - und aus Protest eine vielbesuchte kapitalismuskritische Website gegründet. Ihr Liebster Jake (so soft wie tough: Shia LaBeouf) allerdings, und hier mögen doch die Gene sprechen, ist selber bereits als Börsenmakler erfolgreich – nicht zuletzt dank seines Mentors Louis Zabel (Frank Langella), mit dessen Millionen er ein in der Gewinnung alternativer Energien engagiertes Unternehmen unterstützt.

Die Schluchten der Wall Street aber vertragen bekanntlich keine Sonne – und so treibt nicht nur ein Haifisch von Konkurrent (Josh Brolin) Jakes Mentor in den Selbstmord, sondern Winnies verhasster Vater tritt ins Leben des glücklichen Paars. Gordon Gekko hat im Knast offenbar die Verwandlung vom Schurken zum Helden vollzogen: In Vorträgen schwört "Mr. Insider" publikumswirksam der Gier-Ideologie ab und warnt die vom 2008er-Crash traumatisierten Zuschauer vor dem "systemischen, globalen Krebsgeschwür" namens Kapitalismus, dessen bevorstehender Zusammenbruch allein auf ihre Kosten geht. Oder will hier nur jemand, der offenbar bei Null neu anfangen musste, reichlich Geld aus dem Verlauf seines frisch verfassten Buchs scheffeln – reicht es also statt zu Gutmenschen bloß zum gemischten Charakter?

Gerade das macht die Figur des Gordon Gekko neu spannend, und der in Hollywood schon abgeschriebene Michael Douglas füllt sie faszinierend geschmeidig aus. Vor vier Jahren sei die Initiative zur "Wall Street"-Fortsetzung von "Michael" ausgegangen, sagt Oliver Stone in Cannes, und nun scheint es plötzlich, als sei dieser scheinbar kühl kalkulierende Dynamiker in der Bestform seines Lebens. Den Dollarsüchtigen, der wieder Blut leckt, gibt er ebenso überzeugend wie den Vater, der seine Tochter um Verzeihung bittet. Aus dieser Dualität vor allem, weniger aus der Zeichnung des Broker-Alltagswahnsinns oder der rückhaltlosen Analyse der allerneuesten Börsenkräche, gewinnt das clevere Drehbuch von Allan Loeb und Stehen Schiff seine Wendungen. Wobei die anrührenden Szenen keineswegs, wie so oft in Hollywood, den bösen unterlegen sind.

Nun könnte man Oliver Stone (63) und Michael Douglas (65) vorwerfen, sie gäben einem offenbar unbezwingbaren Bedürfnis nach Altersmilde am falschen Gegenstand nach. Wozu Family Values, die einem ohnehin in jedem amerikanischen B-Picture hinterhergeworfen werden, wenn doch der Untergang des geldgeilen Abendlandes gegeißelt werden soll? Wozu die immer wieder in den Vordergrund drängende Story eines – verdammt ausgezeichnet besetzten – Paars, dessen Schicksal einem noch dazu ans Herz geht? Vielleicht, würde Oliver Stone jetzt sagen, weil der Mensch eine warme Hütte braucht. Gerade wenn der Sturm kommt.

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