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Filmfestival: Insel der Kampftrinker

„80 Sachen Rauschen“: Ein Filmfestival feiert den Westberliner Underground der achtziger Jahre.

Was aus den Helden von einst geworden ist, den Untergrundveteranen der achtziger Jahre? Im Wesentlichen, sagen Andreas Bernhard und Falk Richwien, gab es drei Varianten. Die einen schafften irgendwie den Sprung in die Neunziger. Die anderen leben bis heute in den Achtzigern. Und der Rest – der lebt überhaupt nicht mehr.

Wilmersdorf, ein Erdgeschossbüro im Schatten der Stadtautobahn, fahles Dezemberlicht, stetiges Motorenrauschen. Falk Richwien lässt das grauglänzende Sakko geschlossen, Andreas Bernhard nimmt den Hut nicht ab, sie sind noch immer die alten Dandys, auch wenn beide heute zu jener Veteranenkategorie gehören, denen der Sprung in die Neunziger und die Zeit danach geglückt ist. Richwien kann auf eine respektable Karriere als Konzeptkünstler verweisen, Bernhard unterhält in seinem Erdgeschoss eine Filmproduktion für Musikdokumentationen, und auch die anderen Szenegänger von einst, die sich neulich auf Initiative von Bernhard und Richwien zu einer Art Klassentreffen zusammengefunden haben, sind am Leben. Versehrt zwar, gezeichnet, aber am Leben.

Beim Klassentreffen, sagen Bernhard und Richwien, sei die Idee entstanden, ein Filmfestival über jene alten Tage zu veranstalten, als die generelle Endzeitstimmung der achtziger Jahre in Westberlin, dem Epizentrum des Kalten Krieges, ihren extremsten Ausdruck fand, als die Mauer die Stadt zu einer realitätsenthobenen Insel fern des bundesrepublikanischen Festlands machte. Bernhard hatte damals eine Kneipe in Schöneberg, die keinen Namen hatte, aber von allen „Blechkiste“ genannt wurde – warum, weiß er selbst nicht mehr. Hier fand 1988 jenes legendäre „Kampftrinken“ statt, dass der Festivalfilm gleichen Namens dokumentiert: Alle fünf Minuten wurde Tequila ausgeschenkt, wer nicht mittrank, flog raus. Im Morgengrauen stapelten sich auf der Mittenwalder Straße die Schnapsleichen, reglose Zombies in engen Jeans und spitzen Schuhen. Noch während Sanitäter die hoffnungslosesten Fälle abtransportierten, wurde drinnen weiter um den Sieg gesoffen. Der Gewinner brachte es schließlich auf 42 Tequila.

Mit dem Hedonismus jugendlicher Flatrate-Trinker von heute hätten solche Aktionen nichts zu tun gehabt, sagt Bernhard – es ging nicht um Spaß. „Was wir wollten, war ein harter, unerbittlicher Individualismus. Es ging darum, für den Moment zu leben, auch wenn es lebensgefährlich war.“ Inspiriert vom Londoner Punk und in ausdrücklicher Abgrenzung zu den Hippies der 68er-Generation habe sich die Szene formiert. Die Szene? Eigentlich seien es ja mehrere gewesen, räumen Bernhard und Richwien ein. Im Schöneberger Dschungel hielten die Helden der Neuen Deutschen Welle Hof, allen voran Annette Humpe von Ideal und ihre Schwester Inga. Kreuzberg 36 gehörte den Punks, es war das Reich der Ärzte. Rund um die Potsdamer Straße wiederum verkehrten die Lokalmatadore Blixa Bargeld und Nick Cave, deren Adepten sich im Ex&Pop trafen und eben in Bernhards Blechkiste.

Im Rückblick verschwimmen diese Abgrenzungen, und die gesammelten Filme, die vom 13. bis 19. Dezember in den Kinos Moviemento und Lichtblick gezeigt werden, zeichnen ein weitgehend schlüssiges Bild: von einer Szene selbstzerstörerischer Helden, die sich den abgekapselten Inselstaat Westberlin zur Heimat erkoren, um die bizarre, zerrüttete Stadt noch ein bisschen bizarrer und kaputter zu machen. Besonders die Kurzfilmrolle „Blechkiste Berlin“ vermittelt auch Nachgeborenen einen Eindruck von dieser Stimmung: Schrott war der Werkstoff der Szene, in jedem Sinne, Musiker droschen mit Dampfhämmern auf Metalltanks ein, Künstler sprengten Abflussrohre in die Luft oder verschweißten Autoteile zu Monstermaschinen. Auch die Filmemacher, die diesen Szene-Untergrund entweder dokumentierten oder originäre Filmkunstwerke schufen, erhoben den Schrott zur Philosophie: Aus Bauschutt stückelten sie apokalyptische Filmsets zusammen, selbst ihre Aufnahme- und Produktionstechnik würde nach heutigen Maßstäben höchstens als Ersatzteilgrube durchgehen. Daher auch der Festivaltitel „80 Sachen Rauschen“, erklärt Richwien: „Wir waren professionelle Dilettanten. Die Filme rauschten, das war Teil ihres Charakters.“

Ein stetiges Rauschen begleitet denn auch die Werke von heute mehr oder minder etablierten Regisseuren wie Rosa von Praunheim und Lothar Lambert, aber auch radikalere Experimente wie die von Jörg Buttgereit, der seine ehemals auf dem Index platzierten „Nekromantik“-Filme beim Festival persönlich vorstellt. Viele andere Filme drehen sich um die einstigen musikalischen Protagonisten der Szene: Der Ärzte-Film „Richie Guitar“ wird ebenso gezeigt wie Uli Schueppels Nick-Cave-Dokumentation „The Road to God Knows Where“ oder der Blixa-Bargeld-Film „Dandy“.

Das Ende der Szene, erinnern sich Bernhard und Richwien, sei mit dem Mauerfall gekommen. „So absurd es klingt: Vielen raubte das ein Stück Geborgenheit. Plötzlich musste man sich damit auseinandersetzen, dass da draußen eine Welt war.“ Und dann sei plötzlich der Techno da gewesen: „Das war eine vollkommen andere Szene, die nicht von Individualisten geprägt wurde, sondern von Massen. Mir persönlich fehlten da die Helden“, sagt Bernhard. Die Szene zerfiel. In gewisser Weise sei das rechtzeitig passiert, findet Bernhard im Rückblick. „Was man in Berlin damals erreichen konnte, war im wahrsten Sinne des Wortes begrenzt.“

„80 Sachen Rauschen“, 13.-19. Dezember in den Kinos Moviemento und Lichtblick, Programm: www.moviemento.de.

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