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Basterds

© Getty

Filmfestspiele Cannes: Deutsche Schlachteplatte

Bei den Filmfestspiele in Cannes sind zwar keine Deutschen vertreten, doch von der Leinwand ist Deutsch zu hören: Michael Haneke erzählt eine Kindergeschichte aus dem Norden, Quentin Tarantino jagt Nazis in die Luft.

Die Deutschen, ach ja, sie haben den guten alten Blues. Nach ein paar Jahren mit immerhin relativer Präsenz nationalen Filmschaffens sind sie, abgesehen vom üblichen Markttreiben, diesmal in Cannes überhaupt nicht vertreten. Das erinnert viele Funktionäre an jene düstere, nicht lange zurückliegende Dekade, als dienstliche Teutonen sich an der Croisette allenfalls mit Wim Wenders’ englischsprachigen Werken trösteten. Aber hey, hören wir da nicht dieser Tage allerhand sogar sehr erlesenes Deutsch von der Leinwand, so erlesen, als läse uns da jemand aus Thomas Mann vor oder zumindest aus Hermann Sudermann?

Ganz recht, man spricht Deutsch in „Das weiße Band“, sogar fast zweieinhalb Stunden lang. Der Film spielt kurz vorm Ersten Weltkrieg in Norddeutschland und wurde unter deutscher Federführung produziert und in Meck-Pomm und Brandenburg gedreht. Zudem sind von Burghart Klaußner über Susanne Lothar und Steffi Kühnert bis zu Ulrich Tukur allerhand deutsche Schauspieler am Werk. Aber weil neben dem österreichischen Regisseur Michael Haneke Koproduzenten aus Österreich, Frankreich und Italien an Bord sind, hat in Cannes zähes deutsches Jammern und Wehklagen über die verflixte internationale Verflechtung des Filmgeschäfts angehoben. Als sei es nicht hübsch, sich über ein paar Promenadenmischungen zu freuen, wenn nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraute Filme nun mal nicht zu haben sind!

„Das weiße Band“ erzählt, aus der Perspektive eines Dorflehrers, eine laut Untertitel „deutsche Kindergeschichte“. Eine Geschichte aus Zeiten, als Kinder ihren Eltern noch Handküsse zur guten Nacht gaben, als Frau Mutter Haarknoten trug und Herr Vater sich schweren Herzens zur Züchtigung mit der Gerte entschloss, wenn die Kinder denn doch mal ungezogen gewesen waren. In Eichwald, wo der Lehrer als junger Mann ein Schuljahr lang dient, wird häufig und gern gestraft, es sei denn, die Väter vergreifen sich zur Abwechslung an ihren minderjährigen Töchtern oder verhöhnen ihre alt gewordenen Mätressen verbal fast zu Tode. Und dann geschehen Unfälle, ein Schuppen brennt, ein Kohlfeld wird verwüstet, Kinder werden im nahen Wald gefesselt und böse zugerichtet: Wer sind die Täter?

Eindeutig klärt der Film das nicht, alles andere wäre auch arg überraschend bei einem Rätseltüftler wie Michael Haneke. Aber so subtil wie zuletzt „Caché“ ist „Das weiße Band“ bei Weitem nicht geraten. Vieles spricht dafür, dass in diesem engen Dorf-Universum die Jugendlichen sich anonym an ihren Herren rächen und die Kleineren ihren protestantisch gefütterten Sünden-Sadismus an den Schwächsten auslassen. Und allzu leicht lässt sich die behäbig ausgepinselte Gesellschaft vom Baron bis zum Bauern, vom Pastor bis zur Hebamme als Metapher auf den noch einmal böse funkelnden, aber historisch bereits untergehenden Spätestfeudalismus deuten.

Her mit einem ordentlichen Krieg oder zumindest der anschließenden unordentlichen Revolution – war das der Sinn der Sache? Österreichische Kollegen in Cannes – Haneke selber schweigt sich im Presseheft vornehm aus – kolportieren zumindest, der Regisseur habe das Drehbuch zum „Weißen Band“ seit Jahrzehnten in der Schublade; der mit dem ORF geplante Dreiteiler sei jedoch nie zustande gekommen. Der Film erinnert, bis hin in sein eigentümlich fades Schwarzweiß, fast nostalgisch an reichlich vergangene Dekaden des Fernsehens.

Da loben wir uns Quentin Tarantino, der nach fast zehnjähriger Drehbuchtüftelei seinen vielberaunten „Inglourious Basterds“ in einem Affenzahn letzten Herbst drehte – und das, Überraschung!, ebenfalls zu beträchtlichen Teilen auf Deutsch. Seine fulminante Idee für die wilde Weltkrieg-II-Story, bei der die jüdischen „Basterd“-Guerilleros eines Pariser Gala-Abends die gesamte Naziführung in die Luft jagen: Die amerikanischen, französischen und deutschen Figuren des Films werden mit Schauspielern entsprechender Muttersprache besetzt, die sich jeweils überwiegend heimisch artikulieren. Den Rest regeln – für den US-Markt eine wunderbar verwegene Entscheidung – die Untertitel.

Eine einzige Figur in diesem Potpourri von Hitler (Martin Wuttke) bis zum amerikanisch relaxten „Ober-Basterd“ (Brad Pitt) ist gefährlich polyglott: SS-Ermittler Hans Landa (heißester Kandidat auf den Darstellerpreis: Christoph Waltz), den sie alle den „Judenjäger“ nennen. Superhöflich parliert er in allerlei Sprachen mit seinen Opfern, bevor er sie erschießen lässt oder ihnen kurzerhand selber den Hals umdreht. Tarantino setzt auch in diesem Film auf sein Stilprinzip langer Dialoge vor der jeweiligen Gewaltexplosion, aber der neue Sinnsucher-Ehrgeiz verblüfft. Nicht in erster Linie um Komik vor dem lustvoll angerichteten Schlachtfest geht es ihm, sondern um das Böse, das sich schließlich selber richtet.

Nach der Premiere am Mittwoch in Cannes mäkelten manche – zu Recht – an der Überlänge des Zweieinhalbstundenfilms; was aber zum Festival eiligst fertig geschnitten sein wollte, lässt sich zum internationalen Kinostart im Sommer locker noch dynamisieren. Die Grundidee bleibt so verrückt wie grandios: Hitler und die Seinen werden bei der Premiere eines Propagandafilms im besetzen Frankreich umgebracht, wenigstens das Kino triumphiert (ein Mal!) kathartisch über die grässlichste Wirklichkeit der Welt.

Und dass am Schluss dieses Films nirgends mehr so recht Deutsch gesprochen wird: Nebbich!

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