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Lächeln für Venedig: Sofia Coppola (links) und Elle Fanning.

© AFP

Filmfestspiele in Venedig: Wer ist Johnny Marco?

Neues vom Filmfest Venedig: Das Unwetter vom Freitag - und zwei intime Filme, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Sofia Coppolas „Somewhere“ und Julian Schnabels „Miral“.

Am Freitagmittag, da ist das Festival gerade mal drei Tage alt, wird die Untergangsstimmung konkret. Nicht, dass die Filme bis dato grottenschlecht wären. Auch nicht wegen des Gerüchts, dass neben dem traditionsreichen Hôtel des Bains (bereits geschlossen, wird in einen Apartmentkomplex umgewandelt) mit dem Excelsior nächstes Jahr auch die andere legendäre Edelherberge am Lido dichtmacht (erstmal bis 2013, heißt es). Nein, gegen elf Uhr geht ein halbstündiger Gewittersturm nieder, so was von Sturzbach vom Himmel hat das dünne Lagunen-Inselchen schon lange nicht erlebt.

Schwer zerrupft präsentieren sich hernach die Freiflächen des Festivals: umgestürzte Riesensonnenschirme, kreuz und quer sich stapelndes Lounge-Mobiliar - und nicht einmal vor dem Allerheiligsten der Mostra, den Goldenen Löwen, macht das Unwetter halt. Die nahezu mannshohen Symboltiere, einst gülden glänzend vom Set-Designer Dante Ferretti als Festivalschmuck entworfen und Jahr für Jahr als langsam ergrauende Fotomotive für den Septemberrummel recycelt, finden sich, von allerlei Sockeln purzelnd, rücklings in den Pfützen wieder. Und während die Vegetation auf der seit Monaten zugeschütteten Riesenbaustelle den womöglich entscheidenden Schub Richtung Naturpark bekommt, schwappt es durch die Decke des altersschwachen Casinos auf Dutzende von Journalisten, die am Computer an ihren Texten feilen. Die Folge: zwei Stunden Totalschließung des weitläufigen Schreibsaals.

Wo aber Gefahr sich erfüllt, wächst das Rettende nach – und so erfreut sich die kaum nach dem Himmelsbeben anhebende Pressekonferenz nebenan noch größerer Aufmerksamkeit. Die hat Sofia Coppola, prompt auf dem Podium umjubelt, mit ihrem Film „Somewhere“ ohnehin verdient. Und so gerät die kurze Veranstaltung mit der nie besonders redseligen Regisseurin vor allem zu einem Fest des nahezu 500köpfigen Auditoriums. Die erste Frage geht an den Hauptdarsteller Stephen Dorff, der einen maulfaulen Hollywood-Helden namens Johnny Marco spielt, und sie ist so witzig wie hintersinnig: „Wer ist Johnny Marco?“

Exakt dieselbe Frage nämlich, als letzte einer Pressekonferenz in Los Angeles, wird Johnny Marco im Film gestellt, und statt eine Antwort zu geben, macht er ein reichlich ratloses Gesicht. Dabei hat er es, abgesehen davon, dass er nach einem Party-Treppensturz mit einem Unterarmgips herumlaufen muss, scheinbar ganz gut: Er ist reich, berühmt, sexy, fährt einen schwarzen Jaguar und wohnt in einer Apartmentsuite im legendären Chateau Marmont am Sunset Boulevard. Okay, er ist geschieden, aber wer ist das nicht in Hollywood. Okay, er hat eine elfjährige Tochter namens Cleo (grandios: Elle Fanning), die bei der Mutter wohnt, sowas kommt vor. Okay, er trinkt schon vormittags, aber das bisschen Bier, was macht das schon, und auf Partys, die sein Kumpel Sammy (echter Kumpeltyp: Chris Pontius) in Johnnys Suite ausrichtet, kann er schon mal ein bisschen verloren herumstehen, bevor sich eine süße Blonde anbietet fürs Schlafzimmer nebenan. Ein Traumjob also, dieses Traumleben.

Dann aber fällt Layla aus, seine Ex. Statt sich um Cleo zu kümmern, will sie sich eine Weile um sich selbst kümmern, sagt sie am Telefon, folglich muss Johnny sich um Cleo kümmern. Und die zwei lernen sich kennen, ohne dass viel geschieht, bevor er sie wie verabredet ins Sommerferiencamp bringt: Videospielen, abhängen am Pool, mit Papa nach Italien zur Entgegennahme eines Preises fliegen, gejetlagt zurückkommen, Tischtennis spielen, Sachen essen, die Cleo gekocht hat, paar Sachen nachkaufen fürs Camp (inklusive Süßigkeiten fürs Süßigkeitenversteck), Sachen machen eben, die Kinder mit ihren Eltern und Väter wie Johnny mit Cleo machen. Der Luxus? Nebensache. Eher das Füreinandersorgen wird plötzlich wichtig, und dann fliegt das Leben von Johnny, der zweifellos den lautesten Ferrari der amerikanischen Westküste bewegt, ohne einen Mucks in die Luft.

Vieles an „Somewhere“ erinnert an „Lost in Translation“, Sofias zweiten Film, mit dem sie 2003 in Venedig ihren Durchbruch erlebte: Zwei einsame Menschen, die sich aus einer so allumfassenden wie für sie alltäglichen Entfremdung näherkommen, Zartheit, Lakonie, Vorsicht, Rücksicht, sekundenlang Glück. Und dass man sich bald wieder trennt, und dabei fängt doch gerade eine Verwandlung an, die man erst zu begreifen beginnt. Nur in seinem Schluss ist „Somewhere“ deutlicher, verletzlicher auch. Was auch daran liegen mag, dass Sofia Coppola, selber Tochter eines legendären Regisseurs, mehr Autobiografisches in diesen Film hineingelegt, also: noch mehr gewagt hat. Keine zu jung verheiratete Frau lernt da einen zu alt verheirateten Mann kennen, 10000 Meilen von zuhause, sondern eine Tochter ihren Vater. Und, was vor lauter Unlebbarkeit auf einmal genauso weh tut, umgekehrt.

Persönliche, in der Substanz autobiografische, also intime Filme sind ein unermessliches Risiko für ihre Schöpfer – und vielleicht hilft es da, im Prototypischen für ein Milieu zu bleiben wie in „Somewhere“, in der Andeutung auch. Unterspielen statt ausspielen, Raum lassen für die Imagination und Erfahrung des Zuschauers, verlocken statt erdrücken: In dieser so unendlich beiläufigen Verführungarbeit erweist sich erneut Sofia Coppolas Meisterschaft. Regisseure aber können auch anders. Den Job, mit einem auf seine Weise noch viel persönlicheren, intimeren Film grandios zu scheitern, hat diesmal in Venedig der hochgeschätzte Julian Schnabel übernommen.

Der erfolgreiche Maler Julian Schnabel, der 1996 mit einem Film über seinen Kollegen Basquiat in die Welt der bewegten Bilder wechselte, ist ein intuitiv arbeitender Gefühlsüberwältiger. Nicht aus der feinen Beobachtung des scheinbar Unbesonderen wie Coppola, sondern aus sichtbar starken, also spontan visualisierbaren Dramen schöpft er Kraft – zuletzt ist ihm das 2007 mit „Schmetterling und Taucherglocke“ umwerfend gelungen. In „Miral“ nimmt er sich, anhand der palästinensischen Gründerin eines Waiseninternats und eines ihrer weiblichen Zöglinge, der jahrzehntelangen Nachbarschaftsqual von Israelis und Palästinensern an. Sein filmisches Gemälde, das die Zeit von 1947 bis 1994 umspannt, taucht er in die grellsten Farben, und gerade deshalb bleibt es blass.

Hiam Abbass spielt die gute „Mama Hind“, die 1947 ihr Mädcheninternat in Jerusalem gründet, und Freida Pinto, seit „Slumdog Millionär“ Bollywoodtraumfrau für alle, gibt die Titelheldin Miral, die sich gegen die eher diplomatischen als pazifistischen Mahnungen Hinds zur PLO-Kämpferin emanzipiert. Man muss kein Zionist sein, um „Miral“ antiisraelisch zu finden: Von der Staatsgründung bis zur Intifada, vom idealistischen Palästinensergeliebten bis zur dickdummen israelischen Foltersoldatin vertritt der Film Schnabels, der als Sohn jüdischer Eltern in New York aufgewachsen ist, konsequent die palästinensische Sache – die im Abspann nachgereichten Friedensappelle an beide Seiten verwandeln den Propagandafilm für die Palästinenser allenfalls in einen Propagandafilm für die gute Sache. Ein Propagandafilm mit plakativer Botschaft und lauter Holzschnittcharakteren aber bleibt er doch.

„Miral“ basiert zwar nicht auf den Erlebnissen Schnabels, wohl aber auf dem Roman und Drehbuch Rula Jebreals, die in der Figur Mirals ausdrücklich ihre eigene traumatische und durch das Internat stabilisierte Kindheit und Jugend verarbeitete. Die 37-jährige Jebreal arbeitet seit zehn Jahren als Journalistin in Italien, zuletzt als Nachrichtenmoderatorin – und ist die Lebensgefährtin Julian Schnabels. Vor allem letzterer Umstand verleitet immerhin dazu, dem rundweg misslungenen Film den mildernden Umstand des Liebesgeschenks beizugeben. Nur, wie sagt der Volksmund? Liebe macht blind.

Dass Liebe sehend macht, das sagt Sofia Coppola, und sie sagt es in „Somewhere“ schön leise. Johnny Marco zum Beispiel erfährt durch die Liebe zu seiner Tochter, wer er ist. Wer war noch gleich Johnny Marco? „Er ist ein Schauspieler, der erwachsen wird“, sagt Stephen Dorff auf der Pressekonferenz in Venedig. Und sieht selber aus wie einer, dem die Arbeit an diesem Film dabei geholfen hat. Jan Schulz-Ojala

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