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Filmkritik: Das Dorf der Blinden

Zwischen Öko und Eso: „Altiplano“ will Poesie und Politik in den Anden verbandeln. Doch die Widersprüche ermüden bald.

Geht man nach der Inhaltsangabe im Presseheft, so dürfte es sich bei „Altiplano“ um einen sozialkritisch engagierten, um nicht zu sagen: revolutionären Film handeln. Von „Unruhen“ in einer eigentlich friedlichen Andenregion ist die Rede, ausgelöst durch eine Quecksilberkontamination der Bevölkerung, und von zwei geradezu heldischen Frauen. Die junge Peruanerin Saturnina (Magaly Solier), deren Verlobter durch das Umweltverbrechen zu Tode kommt, kämpft „getrieben vom Mut der Verzweiflung mit allen Mitteln gegen die Unterdrückung der Ausbeuter und für die Rechte ihres Volkes“. Und die europäische Fotografin Grace (Jasmin Tabatabai), deren Mann offenbar bei den Unruhen ums Leben kommt, deckt „die Ursachen eines bis dahin unbekannten Krieges“ zwischen dem Volk und den Betreibern der Quecksilberminen auf.

Ein paar Seiten weiter kommen die Regisseure von „Altiplano“, die Amerikanerin Jessica Woodwarth und der Belgier Peter Brosens, zu ganz anderen Ergebnissen. Ihr Kino betrachten sie als „Dialog zwischen Seelen“, als Botschafter des „Humanismus“ und der „Spiritualität“. Ja, da habe es im Jahr 2000 sehr wohl eine Quecksilbervergiftungskatastrophe im peruanischen Dorf Choropampa gegeben, auch sei die Form des „Protestselbstmords“, den die junge Saturnina begehe, in Lateinamerika durchaus verbreitet, sagen die mit ethnografischen Dokumentationen bekannt gewordenen Filmemacher. Die Zusammenführung der beiden Frauenschicksale im Film aber ziele auf eine „Berührung zwischen Geist und Körper“. Und überhaupt: Sinn ihrer Arbeiten sei es, die „komplexe Realität poetisch zu durchdringen“.

Was nun? Politik oder Poesie? Oder, besonders schwierig: beides in einem? „Altiplano“ ist ein Film der zunächst reizvollen, doch bald ermüdenden Widersprüche. Es beginnt in Peru, mit einer Menschenansammlung in einer Kirche, betont langsam gefilmt wie bei Theo Angelopoulos: Die Statue der Jungfrau Maria soll durchs Dorf getragen werden, doch die Träger stolpern, und sie zerbricht. Und es geht weiter in Europa, in einer Kathedralenruine, so hochsymbolisch überwachsen wie im Schlussbild von Andrej Tarkowskis „Nostalghia“: Dort verkündet die soeben preisgekrönte Reportagefotografin Grace (Jasmin Tabatabai) einer Reihe von Freunden überraschend, ihren Beruf aufzugeben. Der Grund: Bei einem Einsatz im Irak war sie gezwungen worden, ihren Begleiter im Augenblick seiner Erschießung zu fotografieren.

Gewehrschuss, Fotoschuss: Mit derlei höchst absichtsvollen Doppelungen haben es die Regisseure überhaupt. So kommen auch die Frauenfiguren – Saturnina gezeichnet vom Tod ihres Verlobten, Grace gezeichnet vom beruflichen Trauma sowie vom Tod ihres Mannes Max (Olivier Gourmet) – im Andendorf zusammen und werden schließlich geradezu überblendungsreif eins: elegisch hingestreckte Leidende, die eine nach einem kräftigen Schluck Quecksilber ihrem Geliebten in den Tod folgend, die andere mit der Kamera wohl bald erneut das Böse dieser Welt dokumentierend. Doch was alles erzählt das? So gleißend das Licht in „Altiplano“, so dunkel seine indianisch-christliche Ikonografie und sein so metaphysisches wie metaphorisches Raunen.

Zum Beispiel die massenhafte Blindheit, mit der die Dörfler geschlagen sind: Vermutlich wird sie durch eine Quecksilberverseuchung verursacht, gegen die auch das Ärzteteam um Max nichts ausrichten kann – die Szene, in der aufgebrachte Patienten ihre Helfer mit Steinen bewerfen und Max tödlich am Kopf treffen, gehört zu den eindrücklicheren des Films. Aber warum kittet ausgerechnet wiederum ein Blinder die in Scherben gegangene Heiligenstatue, in deren überirdische Erscheinung später überdies die tote Saturnina übergeht?

Spuren über Spuren, die sich in Sackgassen verlaufen. Alles dient hier allein dem zum Stillleben gerinnenden Bild, und auf der Tonspur tötet bald ein so chronisches wie chorisches Oberton-Ohrensausen jedwedes Interesse am dramatischen Geschehen. So mündet, was als „poetische Durchdringung“ der Realität gemeint gewesen sein mag, in Eso-Kitsch vom Allerfeinsten. Poesie? Politik? Alles bloß Arrangement.

Acud; OmU in den Hackeschen Höfen

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