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Filmkritik: Wir sind die Nacht

Techno macht unsterblich: "Wir sind die Nacht" handelt von Vampiren, die in Berliner Clubs hausen.

Nachts sind alle Katzen breit, schrieb mal eine, die sich auskannte im Berliner Nachtleben. Menschen, die in den neunziger Jahren das passende Alter hatten, waren damals vor allem von Techno und seinen exaltierten Darbietungsformen beeindruckt. Dennis Gansel auch. Der Absolvent der Münchner Filmhochschule und „Die Welle“- und „Napola“-Regisseur hatte 1996, nach einem Besuch in Berlin, die Idee, das Nightlife-Gefühl mit den wummernden Beats, schönen Frauen und nie endenden Drogenparties mit einer Spezies zu verflechten, die prima dort hineinpasst. Vampire sind Nachtwesen, die Sonne ist entsetzlich für ihren Teint.

Gansels Idee der hedonistischen Berliner Vampirclique wurde jahrelang als unrealisierbar umhergeschoben und schließlich von allen Seiten überholt. Derzeit sind in den USA die Mormonen-Vampire der „Twilight“-Saga noch immer der Renner. Vorher gab es schon Independent-Vampire von Abel Ferrara („The Addiction“), Rock-’n’-Roll-Vampire von Robert Rodriguez („From Dusk Till Dawn“) und den ebenfalls in der Berliner Technoszene angesiedelten Undergroundfilm „Kiss My Blood“ von David Jazay.

Deutschen Produktionen wird gerne nachgesagt, dass sie Genre nicht so gut können. Doch Gansel bemüht sich. Seine Geschichte um die lesbische Obervampirin und Clubbetreiberin Louisa (Nina Hoss), die seit Jahrzehnten auf der Suche nach dem ultimativen Kick neue Liebhaberinnen anbeißt, und ihre Gespielinnen Nora (Anna Fischer) und Charlotte (Jennifer Ulrich) entspricht formal sämtlichen Kriterien. Meistens ist es Nacht, meistens ist einer der schönen Münder blutig, meistens hat jemand ein schlechtes Gewissen. Die Kleinkriminelle Lena (Karoline Herfurth) wird Louises neuester Schwarm, doch Lena hat kurz vorher den Polizisten Tom (Max Riemelt) kennengelernt. Und so kann sie trotz Blutparty, Nachtshopping und Dicke-Hose-Autos das neue ewige Leben mit den modisch top gestylten Bestien nicht richtig genießen.

Das alles präsentiert Gansel in angemessener Geschwindigkeit, mit vielen amtlichen Effekten, mit lauter Musik und an wunderbaren Drehorten, wie dem irren Banknotengrab „Tropical Island“ oder dem verlassenen Spreewaldpark, den sein Betreiber Norbert Witte bald wieder aufsperren kann, wenn das mit den Film- und Fotomotiven so weiterläuft.

Nur die Vampirinnen bleiben – vampirtypisch, aber ungewollt – blass. Anstatt zu erklären, was die gnadenlose Louisa einst und jetzt umtreibt, zeigt Gansel am Anfang kurz Fotos, später gibt es viel zu spärliche Informationen. Charlotte, deren Drama um ihr Kind, das nun 80 Jahre älter ist als sie, einen eigenen Film gebraucht hätte, bekommt ebenfalls zu wenig Platz. Sogar Lenas Background schafft es nicht, sich durch zwei kümmerliche Szenen mit einer desinteressierten Mutter druckvoll genug zu entfalten. Und als ob Dennis Gansel doch bei Stephenie Meyer gespickt hat, ist sein Film seltsam sexfrei. Lena und Tom wird in ihrer kurzen Romanze nur ein Kuss zugestanden, und lesbische Orgien sehen auch anders aus.

Vielleicht wollte Gansel tatsächlich wacker kritisieren, dass der Nachtlebenhedonismus in Wirklichkeit stumpfes Abtanzen ist, gefolgt vom ewigen Rumhängen und auf den Morgen warten. Aber selbst dafür fehlt seinem schön anzusehenden, blutigen und dennoch furchtbar blutleeren Film einfach der Biss.

In 17 Berliner Kinos

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