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© Promo

Interview mit Joel Zito Araújo: Heiße Ware

Joel Zito Araújo hat einen Film über Sextourismus in Brasilien gedreht. Ein Gespräch über schwarze Frauen und die Krise des weißen Mannes.

Première Brasil: Bis zum 22. November werden im Berliner Haus der Kulturen der Welt Filme vom Rio de Janeiro International Film Festival gezeigt. Mit dabei ist auch die Dokumentation des preisgekrönten Filmemachers Joel Zito Araújo über Sextourismus. „Cinderellas, Wölfe und Prinz Charming“ läuft kommenden Freitag um 20 Uhr. Das volle Programm findet sich unter: www.hkw.de

Senhor Araújo, seitdem ein Tsunami Ende 2004 Asien heimgesucht hat, ist Brasilien zu einem der größten Ziele für Sextouristen geworden. Wer sind diese Männer?

Ich habe für meinen Film die Küste des brasilianischen Nordostens bereist. Dort sind die Hälfte der Sextouristen Italiener und Portugiesen, es folgen Niederländer, Nordamerikaner, Engländer und Deutsche. Sie stammen typischerweise aus der Mittelklasse, sind 20 bis 40 Jahre alt und kommen mit Charterflügen. Fast zehn Prozent haben Sex mit Minderjährigen. In einigen Regionen hat der Sextourismus gewaltige Ausmaße angenommen. Im Parlament wurde die Stadt Fortaleza schon als „Open-Air-Puff“ bezeichnet. In Rio de Janeiro findet man viele US-Soldaten, die sich von ihren Auslandseinsätzen „erholen“. Bis zu zehn Prozent der Reisenden in Brasilien sind heute Sextouristen.

Was suchen diese Männer?

Sie sagen es ganz ehrlich: dunkelhäutige Frauen, Sinnlichkeit, Ausschweifung und das Gefühl, begehrt zu werden.

Das deutet auf eine Krise der Geschlechterbeziehungen im Westen hin.

Natürlich. Die Emanzipation der Frau hat die Männer im Westen verunsichert. Und jetzt kommen diese Brasilianerinnen und vermitteln ihnen das Gefühl, wieder mächtig zu sein. Sie sind es zwar nur qua Hautfarbe und ihrem relativen Reichtum, aber sie fühlen sich als Männer bestätigt.

Es ist verblüffend, wie ungeniert die Männer vor Ihrer Kamera sprechen.

In Brasilien verlieren sie alle ihre Hemmungen. Sie fühlen sich plötzlich befreit. Es gibt Männer, die nutzen das ökonomische Gefälle skrupellos aus und benutzen die Frauen wie Einweggeschirr. Andere sind romantischer und auf der Suche nach einer Beziehung. Es existiert auch eine wachsende Anzahl europäischer Frauen, die für Sex mit schwarzen Männern kommen.

Westliche Männer und Frauen reisen also gleichzeitig nach Brasilien, um dort ihre Träume von Sexualität auszuleben?

In Europa scheinen sie keine Zeit mehr füreinander zu haben. Liebe und Sexualität sind mit dem Zugriff des Kapitalismus auf unsere Leben zu einer Ware geworden. Die Globalisierung hat mithin auch den Sex und den Heiratsmarkt globalisiert. Das hat weitreichende Auswirkungen. Im Nordosten Brasiliens gibt es heute einen Immobilienboom. Sextouristen, die mehrmals pro Jahr anreisen, kaufen sich Grundstücke.

Mit dem Kapitalismus ist aber doch nicht diese große Faszination für den schwarzen Körper zu erklären.

Der Sextourismus ist eine Spielart des Exotismus. Seit dem Kolonialismus bewundern die Europäer die schönen Körper der Schwarzen, halten sie aber im Grunde für kulturell unterlegen. Die portugiesischen Eroberer waren fasziniert von der Freizügigkeit der Eingeborenen – aber sie brachten sie um. Hinzu kam der Mythos von der sexuellen Alleskönnerei der Mulattin.

Die schwarzen Frauen in Ihrem Film behaupten auch von sich selbst, dass sie „heißer“ seien als die weißen Frauen. Eine sagt: „Wir sind eben mehr Frau.“

In Brasilien gelten schwarze Frauen als hässlich und bekleiden keine wichtigen gesellschaftlichen Positionen. Wenn ihnen nun die westlichen Männer sagen, dass sie begehrenswert seien, gibt ihnen das Selbstbewusstsein. Mit einem Mal fühlen sie sich stark. Sie wissen aber, dass die Anerkennung nur über ihre Körper kommt.

Wer sind die Frauen, die sich mit den westlichen Männern einlassen?

Die meisten Prostituierten beginnen ihre Karrieren mit 17 oder 18 Jahren. Auslöser ist immer die Armut. Mit den weißen Männern verdienen sie ein Vielfaches von dem, was sie als Hausmädchen verdienen würden, dem häufigsten Job schwarzer Brasilianerinnen.

Viele der Frauen sagen, dass sie insgeheim auf einen Mann hoffen, der sie heiratet.

Sie träumen vom Prinzen, der sie aus ihrer Armut erlöst. Das Problem ist, dass die schwarze Frau in der westlichen Imagination als promisk gilt, also als Prostituierte. Dabei wollen diese Frauen auch „nur“ Liebe und Zuneigung. So sind sie oft enttäuscht, sobald sie in Europa sind. Nicht nur, dass sie meist keine Ahnung vom Klima und der sozialen Kälte haben, sie sind auch abhängig von ihren Männern, die sich oft ganz anders benehmen als in Brasilien: nämlich geizig und kühl.

Die Erfolgsaussichten solcher Beziehungen sind also gering?

Die Männer und Frauen, die ich in Berlin getroffen habe, sprachen am Anfang kaum oder gar nicht Portugiesisch beziehungsweise Deutsch. Wenn sie aber die Sprache des Anderen zu sprechen beginnen, zerbrechen oft ihre Träume. Die Realität zerstört ihre Fantasiebeziehungen, die eben auf Faszination für das Exotische auf der einen und der Hoffnung auf ökonomischen Aufstieg auf der anderen Seite beruhen. Das heißt aber nicht, dass diese Beziehungen nicht auch klappen können, ich habe auch ein sehr glückliches Paar mit einem wunderschönen Jungen getroffen.

Wieso relativieren Sie am Ende Ihres Films Ihre negative Sicht auf den Sextourismus?

Ich musste feststellen, dass es den schwarzen Brasilianerinnen in Europa trotz allem besser geht als daheim. Hier haben sie Heimweh und kämpfen um Anerkennung, aber in Brasilien geht es ums Überleben. Der Sextourismus hat also eine gute Rolle in ihrem Leben gespielt. Und was unterscheidet sie von den Frauen, die sich mit irgendwelchen Promis einlassen, um selbst als Prominente zu reüssieren?

Welche Auswirkungen werden die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 in Rio haben?

Scharen von Prostituierten und Sextouristen aus aller Welt werden Brasilien in einen Heirats- und Sexmarkt verwandeln.

Das Gespräch führte Philipp Lichterbeck.

Joel Zito Araújo, 55, beschäftigt sich in seinen Spiel- und Dokumentarfilmen mit den Lebensbedingungen der 15 Millionen schwarzen Brasilianer. Er lebt in Rio de Janeiro.

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