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Interview: Sein ärgster Freund

Werner Herzog über Grizzly-Bären, Arbeitswut, Menschenwürde – und die Kunst, Joaquin Phoenix das Leben zu retten.

Herr Herzog, Ihre letzten Filme, der Dokumentarfilm „Grizzly Man“ und der Spielfilm „Rescue Dawn“ sind in Deutschland noch gar nicht im Kino …

… und es gibt inzwischen noch den, den ich in der Antarktis gedreht habe, „Encounters at the End of the World“. Ich arbeite ohne Punkt und Komma. Beim Antarktis-Film muss ich noch zwei Musikstücke austauschen, dann ist er herzeigbar. Es ist fast Science-Fiction, über ungewöhnliche Menschen, die in der Antarktis an ungewöhnlichen Projekten arbeiten.

Die Antarktis scheint ein Herzog-Ort zu sein, wie Vietnam oder der Dschungel. „Die Eroberung des Nutzlosen“ (2004) hieß Ihr Buch, mit den Aufzeichnungen aus der „Fitzcarraldo“-Zeit …

… das Buch ist sicher besser als alle meine Filme zusammen.

Wie bitte?!

Ich bin nicht der einzige, der das so sieht. Das ist reine Prosa, das hat mit Film gar nichts zu tun.

Eine starke Aussage, angesichts von knapp 50 Filmen in 45 Jahren.Ihre Dokumentarfilme bereisen auch solche Orte. Doch seit „The White Diamond“ hat keiner einen deutschen Verleih gefunden.

„Grizzly Man“ lief in Sundance und ist in über 20 Länder verkauft. In den USA hat er zehn Millionen Dollar eingespielt, in Amsterdam standen die Leute Schlange um den Block. Hier hat das keiner mitgekriegt, er ist gleich als DVD erschienen.

Worauf führen Sie das zurück?

(langes Schweigen) Keine Ahnung. Ich verbringe darüber keine schlaflosen Nächte. Während wir hier sitzen, muss ich mich um fünf Filme kümmern, davon zwei, in denen ich als Schauspieler mitwirke.

Sie meinen Harmony Korines „Mister Lonely“, der dieses Jahr in Cannes lief?

Den habe ich selbst noch nicht gesehen. Funktioniert es? Ich hoffe, die Leute haben lachen müssen!

Es ging ein Raunen durch den Saal. Sie lieben das Spielen?

Ich liebe alles, was mit Kino zu tun hat. Schreiben. Schneiden. Produzieren. Regie. Schauspielen.

Man sieht, wieviel Spaß Ihnen in „Mister Lonely“ die Rolle des Paters gemacht hat.

Ja, ein fanatischer Pater! Einer, der die Nonnen fanatisiert (lacht).

Da ist viel Selbstironie dabei.

Schadet ja nicht, wenn man auch mit Humor auf sich selbst schaut.

„Grizzly Man“, der in München seine Deutschland-Premiere hat, ist nicht witzig. Es geht um einen Mann, der in der Nähe wilder Bären in Alaska lebt, sie filmt und am Ende mit seiner Freundin von einem Grizzly getötet und gefressen wird. Was war der Antrieb, diesem Timothy Treadwell einen Film zu widmen?

Ich bin dem Mann nicht gefolgt, er war damals schon zehn Monate tot, er kam im Oktober 2003 um. Er hat tragisch verkannt, was wilde Natur ausmacht, er hat die Wildnis sentmentalisiert. In allen hoch technisierten Ländern gibt es dieses Phänomen, sich eine Walt-Disney-Version der wilden Natur zu erfinden. Treadwell ist eine faszinierende Figur – mit außerordentlichem Material, wegen der Intensität und der Nähe. Hollywood hätte das auch mit Millionen Dollar nie drehen können. Als ich den Film an mich gerissen hatte, war klar, das wird kein Naturfilm mit flauschigen Bärenkindern. Ich sagte gleich: Das wird kein Film über wilde Natur, das wird ein Film, der ganz tief in die menschliche Natur hineinschaut.

Es gab schon fertiges Material. Wie sind Sie überhaupt daran gekommen?

Es war eine Kette von Zufällen. Ein Produzent in den USA hatte mir geholfen, für „The White Diamond“ einen japanischen Fernsehsender zu finden. Ich war bei ihm im Büro, und vor uns war ein Tisch, völlig chaotisch, alles voll mit Briefen, Videokassetten und FedEx-Sachen. Da fiel mir auf, dass ich meinen Autoschlüssel verlegt hatte, ich kramte in meinen Taschen, und schaute ganz intensiv auf diesen Tisch. Da schiebt er mir über den ganzen Wust einen Artikel hin und sagt, ich soll das lesen, das sei seine nächste Produktion. Normalerweise lese ich so etwas nicht, aber diesmal schon. Eine halbe Stunde später war ich wieder da! Ich hatte eine Erleuchtung, schaute ihm ins Gesicht, streckte meine Hand aus und sagte: Diesen Film mache ich jetzt! Und er nahm meine Hand.

Sie haben sofort angefangen?

Es ging ganz schnell los, und geschnitten war der Film in neun Tagen – Kollegen schneiden an einem Projekt mit dieser Materialfülle und komplexer Geschichte anderthalb Jahre. Nicht, dass mein Film eine schlampige Arbeit gewesen wäre, nein, er ist hochkonzentriert und exakt erzählt.

In Ihrem Off-Kommentar werten Sie auch, widersprechen Treadwell.

Ja, obwohl er nicht mehr lebt. Aber ich musste diesen Mut haben. Dabei anerkenne ich ja sehr, was er gedreht hat. Der wertungsfreie Dokumentarfilm existiert sowieso nicht. Es ist ein Mythos, zu glauben, dass in den Fakten selbst bereits eine Wahrheit steckt. Die Wahrheit muss man jenseits davon suchen. Sonst würde ich allen Wahrheitssuchern anraten, beschafft euch das Telefonbuch, da sind zehntausende von korrekten Wahrheiten drin.

Wurde das Tonband vernichtet, auf dem zu hören ist, wie der Grizzly-Bär Treadwell und seine Freundin Amie auffrisst, während die Kamera lief? In Ihrem Film zeigen Sie nur, wie Sie es sich anhören, und brechen dann ab.

Ich musste das irgendwie erwähnen. Die Produzenten wollten unbedingt, dass das Band im Film vorkommt. Ich wusste erst nur, dass es entsetzlich war – vom Hörensagen, vom Pathologen, der die Leichenreste vor sich hatte, mit Treadwells noch tickender Uhr. Ich habe also mitgefilmt, wie ich das Band erstmals über Kopfhörer anhöre, und mir sitzt die ehemalige Freundin Treadwells gegenüber. Das Spannende war das Gesicht dieser Freundin, die ihn 20 Jahre kannte und nun versucht, ein Echo von meinem Gesicht abzulesen. Was dann aber auf dem Band zu hören war, war so entsetzlich, dass ich es abgebrochen habe. Und mir war klar, dass es eine unantastbare Grenze gibt – die Würde und Privatheit eines individuellen Sterbens. Ich sagte gleich: Wenn jemand gegen meinen Willen versucht, das Tonband in den Soundtrack einzuspielen, bin ich sofort aus dem Projekt raus und Ihr Feind. Und dann habt ihr einen Gegner vor euch, sowas habt ihr noch nie erlebt.

Ganz anders Ihr 60-Millionen-Dollar-Film „Rescue Dawn“ mit Christian Bale. Sie drehten 1997 einen Dokumentarfilm über den Deutsch-Amerikaner Dieter Dengler in Vietnam, „Flucht aus Laos“ …

... eigentlich wollte ich „Rescue Dawn“ vor dem Dokumentarfilm machen – aber es hat dann länger gedauert, bis die Finanzen da waren und im Dschungel Thailands das Gefangenenlager gebaut war. Der Film hat sehr viel weniger gekostet, er sieht nur nach 60 Millionen aus und ist auch nicht von einem Studio produziert worden. Nur hat ihn MGM dann sofort aufgegriffen. So war es auch mit „Fitzcarraldo“: Kein Hollywood-Studio könnte den unter 100 Millionen Dollar machen. Gekostet hat er damals sechseinhalb Millionen. Ich bringe ganz große Sachen auf die Leinwand, für sehr viel weniger Geld. Die wirklichen Leistungen bei mir sind jenseits von Bargeld. Christian Bale allein würde zehn Millionen Dollar kosten, bei „Batman“ kostet er sogar noch mehr. Er wollte aber unbedingt mit mir arbeiten und hat dies für eine Gage getan, die man nicht erwähnen darf.

War Christian Bale auch der Schauspieler, der sich vor Ihnen auf dem Highway mit dem Auto überschlug, und Sie halfen ihm und verschwanden gleich wieder?

Nein, das war Joaquin Phoenix. Da war eine steile Straße, das Auto geriet außer Kontrolle und überschlug sich, ich war mit dem Auto direkt dahinter. Ich habe versucht herauszufinden, sind da Verletzte drin, und wie viele sind es. Da erkannte ich Joaquin Phoenix. Das Auto war auf dem Kopf gelegen, und auf ein anderes halb drauf geflogen. Und er fingerte an einer Zigarette, auf dem Kopf liegend, und fand sein Feuerzeug. Hinten tropfte Benzin. Ich habe ja eine gute Art, mit Leuten in einer schwierigen Situation umzugehen und sagte ihm: ,Just relax’. Er sagte: ,Ich bin doch ganz ruhig’. Und ich: ,No, you are not’ . Er wurde dann aus dem Auto rausgeholt und wollte sich wohl bedanken, ich bin aber ganz schnell weg.

Einfach so, gleich weg?

Drei Tage vorher bin ich in Los Angeles angeschossen worden. Es ist ja schön, in einer Stadt zu leben, wo richtig was los ist. Niemand würde es glauben, wenn nicht die Kamera gelaufen wäre. Ich wollte meinen Satz zu Ende sagen, aber da lag der Tonmann schon flach im Staub, und der Kameramann floh mit laufender Kamera.

Sie leben in Los Angeles und in München. Wo ist denn Ihr Zuhause?

Ich bin unregelmäßig hier, aber auch unregelmäßig in Los Angeles. Ich bin dort verheiratet, aber zu Hause ist eher dort, wo mein Arbeitsplatz ist: in der Antarktis, in Thailand, im Dschungel.

Das Gespräch führte Thilo Wydra.

Werner Herzog (64), Legende des Neuen Deutschen Films, liebt die Extreme. In Fitzcarraldo (1981) ließ er, mit Klaus Kinski in der Hauptrolle, ein Schiff über einen Berg ziehen, und drehte vier weitere Filme mit dem Berserker Kinski – von Aguirre, der Zorn Gottes (1972) über Nosferatu und Woyzeck bis Cobra Verde (1987).

Herzog hat in 45 Jahren 50 Filme gedreht – zuletzt den Dokumentarfilm Grizzly Man (2005) und den Spielfilm Rescue Dawn (2006). Beide werden auf dem Münchner Filmfest vorgestellt, das den in München geborenen Regisseur mit einer vollständigen Retrospektive ehrt.

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