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Interview: „Wir haben Sterne ohne Himmel“

Regisseur Christian Petzold über Nina Hoss, Alfred Hitchcock und amphibische Filme.

Herr Petzold, „Yella“ ist Ihr dritter Film mit Nina Hoss. Warum arbeiten Sie so gern mit Ihr?

Ich kannte sie als „Das Mädchen Rosemarie“, als blonde Verführerin in den Händen ausbeuterischer Männer. Da ich glaube, dass die Rollen von Schauspielern Teil ihrer Biografie werden, dachte ich, sie könnte in meinem Film „Toter Mann“ ebenfalls die Verführerin spielen. Aber eine, die ihrerseits mit den Männern spielt. Bei der ersten Probe saß Nina Hoss kerzengerade da und schrieb alles mit. Das irritierte mich total: Wie kann eine, die so präzise in sich ruht, eine Verführerin und Rächerin sein? Aber dann begriff ich: Sie macht sich leer, sie unternimmt eine Expedition ins Unbekannte.

Yella ist die Frau, die in den Westen aufbricht. Gab es Vorbilder?

Hitchcocks „Marnie“! Aber das war ein Fehler, der uns einen Drehtag kostete. Ich veranstalte vorher immer kleine Seminare und zeige den Schauspielern andere Filme, wir lesen Literatur, ich lüfte gewissermaßen mein Büro. Diesmal habe ich ihnen unter anderem „Marnie“ gezeigt. Da mein Kameramann Hans Fromm und ich Hitchcockianer sind, drehten wir die Ankunft in Wittenberge an der Elbe auf dem Bahnsteig genau wie bei Hitchcock. Erst im Schneideraum sah ich, dass das vollkommen falsch ist, weil die Perspektive in „Marnie“ die eines begehrenden Mannes ist, der die Rückenansicht der Frau mit seinen Fantasien aufheizt. Aber in „Yella“ geht es nicht um eine Männer-, sondern um eine Frauenfantasie. Also mussten wir die 42 000 Euro teure Steadycam-Bahnsteigszene wegschmeißen.

Sie inszenieren Nina Hoss dennoch als Star, in Nahaufnahmen, fast glamourös.

„Yella“ ist das Porträt einer Träumenden, die sich in ihrem Traum aufhält. Es gibt also Einstellungen, die sie klassisch porträtieren, und es gibt Blicke nach innen. Deshalb sieht es so nach Star aus: Ein Star ist immer ein Träumender, der für sich und mit sich ist und in dessen Anblick wir uns hineinträumen. Im Fernsehen gibt es keine Stars, denn es ist auf Anerkennung und Quote abgerichtet und behelligt den Zuschauer: Bleib bei mir! Ein Star geht nicht anschaffen.

In Deutschland heißt es oft: Warum lieben wir unsere Stars nicht?

Mir ging lange auf die Nerven, dass immer nur zwei Fragen an das Kino gestellt wurden. Die eine lautet: Wir haben einen Himmel ohne Sterne, wo sind die Stars? Aber es ist umgekehrt: Wir haben Sterne ohne Himmel. Deutsche Schauspieler werden wie Stars gefilmt, haben Auftritte auf dem roten Teppich oder in der „Gala“, aber es gibt keine Filme um sie herum. Wie sonst erklärt sich die Einsamkeit von Nastassja Kinski? Warum wurden nach „Lola rennt“ nicht 30 Filme mit Franka Potente gedreht? Was macht eigentlich Jessica Schwarz? Und wieso ist Martina Gedeck nicht dauerhaft umgeben von einer Kultur, die sie trägt, so wie Isabelle Huppert in Frankreich? Man wird gefeiert für einen einzelnen Film, ist Star für ein halbes Jahr – und dann feiern die Gazetten den nächsten.

Und welches ist die andere Frage?

Die nach dem Drehbuch. Das Drehbuch gilt als Tauschwert, den man beliebig herunterladen kann, und wenn es gut ist, taugt auch der Film. Unsinn! Chabrols „Schlachter“ oder seine „Untreue Frau“: simple Geschichten, die erst durch die Inszenierung und Verortung – Paris, Versailles, die Amerikanisierung der französischen Bourgeoisie – Tiefe erhalten.

Sie sagten einmal, der deutsche Film stelle keine Fragen an sein Land. Gilt das noch?

Nein, es ist besser geworden. Ich meinte damals nicht Realismus, sondern eine bestimmte Sensibilität. So finde ich die ausrecherchierte Privatsphäre in Filmen geradezu menschenverachtend, weil da eine Karikatur von sozialer Existenz entworfen wird. Ich weiß wie das Prekariat lebt: Das ist RTL 2. Das Gleiche gilt für größere Zusammenhänge. In den Filmen der Weimarer Republik spürt man den Faschismus, und im New-Hollywood-Kino schlägt sich Vietnam nieder. Solche Sensibilität gibt es auch bei uns wieder, etwa bei den Einsamkeitslandschaften des Ostens in Valeska Grisebachs „Sehnsucht“.

Und welche Fragen stellt „Yella“ an Deutschland?

In „Yella“ sieht Wittenberge zunächst aus wie meine Märklin-Eisenbahn. Da ist die Elbe, der Werksturm mit der Uhr, die frühe Industrialisierung. All das hat die Treuhand vernichtet. Die Fabriken sind noch da, aber die Menschen sind verschwunden, wie Yella, die Glückssucherin. Das Kino sieht, was noch nicht empirisch erfasst ist. Dass die Frauen Ostdeutschland verlassen, konnte man wahrnehmen, lange bevor es in den Zeitungen stand. Die andere Hälfte des Films spielt auf dem Expo-Gelände in Hannover: Hier baut der Kapitalismus seine eigene Documenta, samt der Ruinen-Ästhetik aus Glas, Stahl und Leder.

Sie schimpfen viel auf das Fernsehen. Gerade gibt es eine Debatte über Mischformen von Kino- und Fernsehproduktionen wie bei der „Päpstin“.

Das Problem des „amphibischen Films“ ist, dass weder gutes Kino noch gutes Fernsehen herauskommt, wenn von vornherein TV- und Kinofassungen erstellt werden. Ein Schauspieler muss seinen Rhythmus finden, auch die Spannung zwischen zwei Liebenden hat eine ganz bestimmte Länge. Kino ist immer auch die Dokumentation der Arbeit an einer Szene. Wenn man eine Erzählung für zwei Medien gleichzeitig herstellt, für die 100- und für die 180-Minuten-Variante, ist diese Arbeit nur Material für die Postproduktion. Der Film hat keine Chance, seinen Herzschlag zu finden.

Das heißt, Sie machen nur noch Kino?

Fernsehen ist nicht schlecht. Wolfram Staudtes „Seewolf“, „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“, „Die Schatzinsel“, diese Vierteiler aus den Sechzigern sind großartig. Aber das deutsche Fernsehen mit seinen Milliardenbudgets wagt nichts mehr. Kino findet hier schon lange nicht mehr statt. Die Sender interessieren sich nicht mehr für den neuen Chabrol; der neue Tarantino läuft frühestens nach Mitternacht. Schlimm ist auch, wenn sich das Fernsehen über amphibische Produktionen bei den Kinotöpfen bedient und Großproduktionen kleineren Filmen das Wasser abgraben, auch dem Kleinen Fernsehspiel. Interessant sind höchstens noch Krimis von Dominik Graf oder importierte Serien wie „The Wire“ oder „The Sopranos“. Die sind das Beste, was ich je im Fernsehen gesehen habe. Kino ist Novelle, Fernsehen ist Roman, und die „Sopranos“ sind das Epische schlechthin. Thomas Mann würde heute TV-Serien drehen.

– Das Gespräch führte Christiane Peitz.

Christian Petzold, Jg. 1960, lebt in Berlin und wurde 2001 mit seinem RAF-Film „Die innere Sicherheit“ bekannt. Mit Nina Hoss drehte er „Toter Mann“ und „Wolfsburg“.

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