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Coixet

© AFP

Isabel Coixet: Die Männerversteherin

Regisseurin Isabel Coixet spricht im Interview über Sex, Älterwerden, wahre Liebe – und den Stress in Hollywood.

Frau Coixet, diese Liebesgeschichte ist für Ihr bisheriges Werk ein eher ungewöhnlicher Stoff. Wie kam es zu diesem Projekt?

Als man mir auf der Berlinale 2006 anbot, den Roman von Philip Roth „Das sterbende Tier“ zu verfilmen, hatte ich viele Bedenken. Ich bin zwar ein Roth-Fan, aber ich hatte zuvor immer mit Originaldrehbüchern gearbeitet. Auch fragte ich mich, wie frei ich in einem Hollywood-Studio arbeiten kann.

Und? Haben sich Ihre Sorgen bestätigt?

Man muss mit einigen grundsätzlichen Unterschieden zurechtkommen. In den USA haben nur wenige Star-Regisseure das Recht am „final cut“. Also hatte ich endlose Diskussionen mit den Produzenten. Oder: Ich stehe immer selber hinter der Kamera, während in Hollywood der Regisseur bloß hinter dem Monitor hockt. Also hielt ich mich an einen Rat, den Wim Wenders mir gegeben hatte und sagte: Wenn Ihr nicht einverstanden seid, dann fuck it! Immerhin, als die wichtigsten Szenen im Kasten waren, gab man mir freie Hand.

Welche besondere Beziehung haben Sie zu diesem Roth-Roman?

Ich fühle mich der Geschichte nahe. Mir gefällt Roths Trockenheit, sein Mangel an Selbstmitleid, gerade in emotionalen Momenten. Vor allem mag ich, dass sein Held David Kepesh sich nie dafür entschuldigt, ein sexuelles Wesen zu sein. Saul Bellow und andere US-Autoren sind da viel prüder. Auch bei Roth gibt es immer wieder schuldhafte Verstrickungen, aber die haben nie etwas mit Sex zu tun.

Reifer Literaturdozent, hübsche Studentin: Manche Kritiker geißelten den Roman als Altmännerfantasie.

Als ich Philip Roth bei den Vorbereitungen zum Dreh traf, wurde mir klar, dass diese Geschichte sein Leben ist. Und dass die Figur der Consuela wirklich existiert hat. Die Begegnung mit ihm war sehr bereichernd. Zugleich hat er nie darauf bestanden, das Drehbuch zu lesen.

Und was hat Sie gerade als Frau inspiriert, diesen Stoff zu verfilmen?

Vor zehn Jahren hätte ich das noch abgelehnt. Aber jetzt bin ich an einem Punkt angekommen, wo ich das Verhalten vor allem der Männer verstehen will. Es gibt viele dieser sechzigjährigen Männer, die sich wie Kinder benehmen, und es gibt sehr junge Frauen, die sehr viel reifer sind als ich. Alter ist nur ein Faktor – und nicht der wichtigste, um eine Beziehung zu definieren.

Woran denken Sie besonders, wenn Sie sich an die Dreharbeiten erinnern?

An den hungrigen Blick, mit dem Ben Kingsley Penelope Cruz anschaut. Der hat mich fasziniert und erschreckt. Oder an die totale Stille auf dem Set, als wir die Szene drehten, wo er sie nackt fotografiert. Viele Frauen mit Brustkrebs haben mir erzählt, dass sie kurz vor der Operation Fotos von ihren Brüsten machen.

Die Angst vor dem Sterben zieht sich wie ein roter Faden durch Ihr Werk.

Dabei ist mir bisher noch nichts wirklich Schlimmes passiert! Ich fühle mich aber oft wie ein Figur von Henry James, die auf die Tragödie im Leben wartet. Ich bin allerdings von vielen Menschen umgeben, die auf alltägliche Weise ein tragisches Leben führen. Ich bewundere, wie sie extreme Herausforderungen meistern. Unsere Sterblichkeit ist eine davon.

David Kepesh macht in Ihrem Film diesen Prozess auf seine Weise durch.

Kepesh ist 64. Es ist schwer, einen Mann in diesem Alter, für den Sex immer nur Sex war, wachzurütteln. Dass er sich dafür entscheidet, Consuela auf ihrem schweren Weg zu begleiten, bedeutet sehr viel. Im Roman weiß man das nicht so genau. Ich bin mir nicht sicher, ob die wahre Liebe existiert. Aber ich weiß, dass es glaubhafte Liebesbeweise gibt.

Das Gespräch führten Marcus Rothe und Martin Schwickert.

Isabel Coixet, 1960 in Barcelona geboren, ist die bedeutendste Regisseurin Spaniens. Ihre wichtigsten Filme: „Mein Leben ohne mich“ (2003), „Das geheime Leben der Worte“ (2005).

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