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Jenny Gröllmann: Leben heißt lieben

"Ich will da sein": Ein Dokumentarfilm erinnert an die Schauspielerin Jenny Gröllmann und kämpft gegen den Stasi-Verdacht.

Aufnahmen von Jenny Gröllmanns Begräbnis, die Kamera zwischen Wartenden und ihren gedämpften Gesprächen. Ein verstörender Beginn. Schließlich gehört das Begrabenwerden nicht mehr zum Leben eines Menschen, es ist eine Angelegenheit der Überlebenden. Und dann, sehr unvermittelt, doch atmosphärisch hochpräzise, eine Tanzszene. Nicht, weil man auf Begräbnissen tanzen soll – oder ja, auch das. Die Tanzszene stammt aus „Ich war neunzehn“ (1968) von Konrad Wolf, Jenny Gröllmanns erstem großen Film. Sie war 20 damals. Petra Weisenburgers Dokumentation „Ich will da sein“ hat ihren hochsubjektiven Rhythmus sofort gefunden, den größtmöglichen Kontrast von Leben und Tod an der Grenze dessen, was sich ertragen und zeigen lässt. Die oft fast stummen Szenen aus Gröllmanns Filmen lassen das Leben selbst wie neu entdecken – außeralltäglich in seiner Alltäglichkeit, als ein allerzartestes, ein hingehauchtes Gewebe. Dass die DEFA so etwas konnte, fast schon hatte man es vergessen.

Und diese Schauspielerin selbst: nicht im konventionellen Sinn schön, aber gerade darum um so schöner in ihrer übergroßen Zartheit, mit ihrer Begabung für Nuancen, die kein Äquivalent in der meinenden Sprache haben. Erotische Nuancen zumeist. Es ist schön, Jenny Gröllmanns Männern – denen im Film und denen im Leben – zuzusehen, wie sie diese Frau in Worte zu fassen versuchen. Zum Beispiel Jaecki Schwarz, ihr Partner in „Ich war neunzehn“: Sie trat nie auf, „sie erschien“. Und Michael Gwisdek meint, sie war die „Biene Maja“ und die „Inkarnation der Sünde“ zugleich. In der DDR so eigentlich nicht vorgesehen.

Ja, es ist ein Film aus größter Nähe, keiner über den IM-„Fall Gröllmann“. Das mag ihn für den Aufarbeitungs-Typus unerträglich machen, aber ist nicht aus der Fernsten-Position genug über Jenny Gröllmann geurteilt worden? Vielleicht reagieren Nervensysteme Ost auf das Schauprozesshafte daran noch immer besonders empfindlich, was Henry Hübchen die Schattenseite des höchsten Gutes Pressefreiheit besonders hübchenhaft aussprechen lässt: das Fatale daran, wenn „die Journaille so in den Äther pinkelt“, sei, dass der Geruch bleibt. Nichts wäscht ihn mehr ab.

Die Regisseurin, geboren in Karlsruhe, hat Jenny Gröllmann in „Liebling Kreuzberg“ Anfang der Neunziger zuerst gesehen, sie wurden Freundinnen, und dieser Film ist ein Dokument dessen, was Menschen einander schuldig sein können. „Ich will da sein“ verlangt vom Zuschauer die Bereitschaft, sich auf einen Menschen einzulassen, nicht auf eine ungeklärte – nicht ganz klärbare – Aktenlage. Und es gehört wohl zu den bleibenden Paradoxen des Lebens, dass manchmal nur der subjektive Zugang zu einer tieferen, nichtstumpfen Objektivität hindurchdringt.

Jenny Gröllmann, diesem Kind zweier Kommunisten, wieder zuzusehen, vermittelt etwas Unverhofftes: ein Lebensfluidum von Freiheit und Genuss. Der Bühnenbildner Otto Gröllmann und seine Frau, die Fotografin Gertrude Gröllmann hatten Folter und Haft während des Dritten Reichs überlebt und kamen mit ihrer in Hamburg geborenen Tochter in die DDR, in das, wie sie meinten, „bessere Deutschland“. „Es war so selbstverständlich, dass das das Richtige und Gute war“, sagt Jenny Gröllmann im Film. Sie nahm es hin, wie man Selbstverständliches hinnimmt und machte – der unideologische Typus schlechthin – die Probe darauf: Sie lebte, was hieß, sie liebte. Schon seltsam, welche Genusskinder diese Kommunisten manchmal hatten.

Vielleicht findet Michael Gwisdek im Film das richtige Wort für die Daseinsform dieser Frau: „Ich betone Liebhaberin“, sagt Gwisdek. Liebhaberin der Männer und des Lebens.

Ist eine liebende Frau eine Denunziantin? Das Thema kam spät in ihr Leben. Es kommt spät in diesen Film. Das ist wohl die richtige Proportion. Man ahnt, warum diese Frau, die wusste, dass sie bald sterben wird, diesen Kampf um ihren Ruf führte, den sie erst postum vor nicht einmal zwei Monaten gewann. Weil die Fähigkeit, sich anderen Menschen so öffnen zu können, gerade nicht bedeutet, sich auch einer Institution wie der Staatssicherheit zu öffnen. Ja, weil in diesem Fall der Verrat und die Entwertung des eigenen Lebens ungeheuer wäre.

Das Rätsel, warum ihr Ex-Ehemann Ulrich Mühe ihr solchen Verrat offenbar zutraute, ist nicht mehr lösen. Nur weil die Birthler-Behörde es ihm nahelegte? Oder gerade weil sich Menschen, die sich einmal am nächsten waren, noch ganz anders verraten können als an die Staatssicherheit? Dass so viele, die sie kannten, an Jenny Gröllmanns Unschuld glaubten, zeugt nicht von einer besonderen Renitenz Ost, wohl aber von einer anderen Prägung: Ein Misstrauen gegenüber Behörden ist geblieben. Institutionen, auch demokratische, sind niemals die Letztinstanzen der Humanität. Im Zweifelsfall für den Menschen, den du kennst! Im Zweifelsfall für die eigene Erfahrung. Das bleibt – selbst im Falle des Irrtums – wohl ein Residuum der Humanität.

Ab Donnerstag im Broadway, FT Friedrichshain und International

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