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© pandastorm

Kino: „Das Massaker von Katyn“: Im Namen des Vaters

In Polen vernichteten die Sowjets 1940 mehr als 22.000 polnische Offiziere und Intellektuelle. Lange war das grauenvolle Verbrechen ein Tabu. Jetzt hat der polnische Regisseur Andrzej Wajda „Das Massaker von Katyn“ verfilmt.

Zuerst das Ende. Hundert Minuten nach Filmanfang kommt sie doch noch direkt ins Bild: die grausige Leerstelle, deren Vorgeschichte und Folgen Wajdas Film fast zwei Stunden lang umkreist. Ein Bahnhof. Eine Planierraupe im Wald. Schüsse, erst einer, noch fast im Gerangel. Die folgenden ins Genick, wie im Schlachthof, mit Stricken um den Hals werden die gefangenen Männer herangezerrt. Blutseen. Leichen auf Lastwagenpritschen. Gemetzel. Und in die Schüsse und die klagenden Dissonanzen von Krzystof Pendereckis Filmmusik mischen sich Fetzen des Vaterunsers, von den ermordeten Männern gesprochen. Dann bis zum Abspann eine ganze Minute Schwarzfilm.

Selten zuvor wurde die banale Serialität des militärischen Mordens so eindrücklich in Filmsprache übersetzt wie in dieser über zehn Minuten langen letzten Sequenz von Andrzej Wajdas „Das Massaker von Katyn“. Nur die – zum Glück sparsam – zwischen die Szenen vom laufenden Sterben gestellten Symbolbilder (leere Tagebuchseiten blättern im Wind, eine Hand mit Rosenkranz, die noch als Letztes aus der bald zugeschütteten Erde ragt) können in ihrer katholischen Drastik manchem doch als arger Kitsch aufstoßen. Fast körperlich meint man hier den Ausbruch des lange Zeit zum Schweigen gezwungenen Künstlers aus dem aufgestauten Druck zu spüren.

Die simple Nennung des Todesdatums auf einem Grabstein war verboten

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Anna (Maja Ostaszewska) und Andrzej (Artur Zmijewski). -

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Die Wahrheit über das tabuisierte Massaker filmisch zu erzählen, galt für Wajda, dessen Vater selbst zu den Opfern von Katyn zählte, schon lange als Herzenspflicht. Doch im Polen des Warschauer Pakts war die Wahrheit über die von den Sowjets der deutschen Wehrmacht zugeschriebene Ermordung von mehr als 22 000 polnischen Offizieren und Intellektuellen 1940 in den Wäldern um Smolensk mit Strafe belegt und wurde verfolgt. Selbst die simple Nennung des Todesdatums auf einem Grabstein konnte ins Gefängnis führen.

Erst das offizielle Schuldbekenntnis Gorbatschows 1990 und die Öffnung der Archive machte diesen Film möglich. Eine mit den Jahrzehnten gewachsene Pflicht, die Wajda in künstlerische Loyalitätskonflikte gebracht haben dürfte. Da war das Vermächtnis des Vaters. Da war aber auch seine Rolle als polnischer ,Nationalregisseur’, der seit „Asche und Diamant“ 1958 die wesentlichen Wendepunkte der polnischen Geschichte mit seinen Filmen begleitete. Da ist das Bedürfnis nach historischer Aufklärung und das nach trauerndem Gedenken.

Die zwei Witwenschicksale sind wenig glaubwürdig

Wajdas Anspruch, all dies zu vereinen, musste wohl scheitern, das widersprüchliche Einzelleben im national gefühlten Ganzen, die Aufklärung in der Totenfeier untergehen. Der Versuch, in narrativ lose zusammengehaltenen Episoden um zwei Witwenschicksale auch den historischen Rahmen mit den wesentlichen Stationen mitzuerzählen, gibt den Szenen einen ausgestellt illustrativen Charakter. Schon die Ausgangssituation, dass eine Offiziersgattin mit ihrer kleinen Tochter auf dem Fahrrad durch ganz Polen reist, um ihren Ehemann vom Kriegseinsatz abzuhalten, schafft zwar rührende Abschiedsszenen, ist aber wenig glaubwürdig, die Charaktere haben vor allem repräsentative Funktionen.

„Das Massaker von Katyn“ ist ein filmisches Requiem in verblassten Braunblaugrautönen, aber keine differenzierte historische Aufarbeitung. Das muss vielleicht so sein bei einem Werk, das nach jahrzehntelanger Verdrängung nun zum nationalreligiösen Akt geworden ist. Fast vier Millionen Polen haben den 2007 entstandenen und für den Auslands-Oscar nominierten Film bisher angeschaut. Letzten März war er in einer einzigen Vorstellung auch in Moskau zu sehen. Ab heute, dem 70. Jahrestag des sowjetischen Einmarschs in Polen, läuft „Katyn“ bei uns im Kino.

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