zum Hauptinhalt
Kuchenphilosoph

© Prokino

Kino: Der Kuchenphilosoph

Amerika, ein Melodram: Der Regisseur Wong Kar-wai aus Hong-Kong wechselt für "My Blueberry Nights" den Kontinent – und bleibt sich treu.

In Wong Kar-wais Filmen wird nie viel gesprochen, schon weil sie oft von der Liebe handeln, einem Phänomen, das unserem Kommunikationszeitalter unverständlicher ist, als es denkt. Im Kommunikationszeitalter zerredet man – nein, nicht die Liebe – man zerredet „Beziehungen“. Undenkbar bei diesem wohl größten zeitgenössischen Kinospezialisten für seelische Weltauf- und -untergänge.

Wong Kar-wai geht es um den Archetypus der Liebe. Folgendes Kommunikationsmuster also: Er sagt nichts, sie sagt auch nichts. Mehr kann – wer wüsste das nicht? – zwischen zwei Menschen gar nicht passieren. Damit ist der Regisseur aus Hongkong berühmt geworden. Sagen wir: mit dem absoluten Ton der Sehnsucht. Dafür liebten wir „In the Mood for Love“ und dessen Fortsetzung „2046“ trotz seines konfektionierten Gestus, trotz der Momente, in denen eine innere Stimme schrie: Kitsch! Kitsch! Was in jenen Filmen trotzdem noch zu sagen war, übernahm die Musik. Für das, was zwischen Menschen wirklich mitteilenswert ist, ist sie die einzige Sprache, die zählt.

Im Vergleich dazu wirkt „My Blueberry Nights“ geradezu schockierend geschwätzig. Und so ungewohnt leicht-sinnig, beinahe witzig. Geben wir es ruhig zu: „My Blueberry Nights“ provoziert beim Verlassen des Kinos eine leise Unzufriedenheit. Trotzdem – die meisten Dinge im Leben sind paradox – ist „My Blueberry Nights“ ein originärer Wong Kar-wai, und das heißt vor allem, dass dieser Film immer wieder atemberaubend schön ist. Selbst wenn diese Schönheit diesmal etwas flüchtiger ist.

Bei Wong Kar-wai handelt es sich um einen Spezialfall der Teppichweberei. Feinste Bild- und Tonfäden werden so miteinander verwoben, dass der Bild-Ton-Teppich am Ende das kann, was man seit je von einem Teppich verlangen durfte: fliegen. Zuerst die Tonfäden. Durch „2046“ – das war eine Hotelzimmernummer – klang „Casta Diva“ aus Bellinis „Norma“, durch „My Blueberry Nights“ klingt Norah Jones. Aber nur webfadenweise.

Welch kluge Zurückhaltung. Jeder andere hätte wohl zuviel von ihr genommen, zumal sie in „My Blueberry Nights“ nicht nur zu hören ist, sondern auch auftritt, und zwar in der Hauptrolle. Norah Jones, die Jazzsängerin für jedermann, geliebt selbst von den Feinden des Jazz, spielt das Nächstliegende: eine Jedermännin. Ebenso schön wie traurig sitzt sie als Elizabeth am Tresen eines New Yorker Cafés und lernt, dass es im Leben grundsätzlich zwei Arten von Kuchen gibt: Blaubeerkuchen und die anderen, also Apfelkuchen, Pflaumenkuchen, Schokoladenkuchen. Was den Blaubeerkuchen von den Erfolgskuchen des Lebens unterscheidet: Er bleibt immer übrig. Wenn alle anderen längst weg sind – er ist noch da.

Der Blaubeerkuchenphilosoph und -bäcker ist Jude Law. Er heißt hier Jeremy und wirkt, als habe er nie im Leben etwas anderes gemacht als hinter dem Tresen eines Verlierer-Cafés zu stehen. Das ist sehr gut, denn Wong Kar-wais Figuren stellen ohnehin immer Zustände dar, keine Entwicklungen – ausgenommen vielleicht Elizabeth. Sie fühlt sich gerade sehr blaubeerkuchennah, denn sie wurde soeben verlassen. Eine Übriggebliebene.

Die Blaubeerkuchen-Idee ist witzig und leicht und doch nur ein Anwendungsfall der allgegenwärtigen Wong Kar-waischen Melancholie, die an Besessenheit grenzt. Denn natürlich backt Jeremy den Blaubeerkuchen nur, um zu sehen, wie er übrig bleibt. Er hat in seinem Café auch eine Sammlung von Schlüsseln, die keiner mehr braucht oder brauchen will. Aber – Blaubeerkuchenbäckerphilosophie – du sollst nie eine Tür endgültig hinter dir zuschlagen oder abschließen!

Jude Laws kühle, selbstironische Sachlichkeit bei solchen Mitteilungen mildert die Sentimentalität. Das Café hat Jeremy streng genommen auch nur, weil er selber ein Übriggebliebener ist. Und gesetzt den Fall, seine weggelaufene russische Freundin würde zu ihm zurückkommen wollen: Wo sollte sie ihn suchen, wenn nicht hier im Café?

Norah Jones’ schöne braune Augen blicken sehr vergangenheitstief an solchen Stellen. Sie bringt nichts mit außer sich selbst, aber das ist genug. Sie sitzt auf Barhockern und isst Blaubeerkuchen und als sie auf der Suche nach sich selbst – jedes verlassene Ich muss ein neues Ich werden – durch ganz Amerika fährt, wirkt sie manchmal fast wie eine Statistin. Sehr sympathisch, aber doch Statistin. Das entspricht der tieferen Ökonomie des Films. Jeder ist zuletzt der Statist des eigenen Lebens, und auf jeder Reise ist der Reisende der Nebendarsteller.

Die Orte und Menschen, auf die der Reisende trifft, machen etwas mit ihm, nicht umgekehrt. Rachel Weisz als Provinzliebende, David Strathairn als Provinzpolizist und Natalie Portman als Provinzpokerspielerin – egal, wen Elizabeth trifft, es sind zuletzt alles Blaubeerkuchen-Kandidaten, Übriggebliebene. Aber welche, die viel reden. Was gar nicht anders sein kann.

Der Hongkong-Chinese Wong Kar-wai dreht nur im Ausnahmefall jenseits von Asien. In jedem Asiaten steckt vielleicht ein schweigsamer Schwertkämpfer. Aber lauter stille Amerikaner, undenkbar. Und egal wie viel sie sagen – am Ende sind Wong Kar-wais Bilder doch Aufnahmen einer Innenwelt, zusammengesetzt aus lauter Außenwelt. Zeitlos, melancholisch, weich, unscharf zerfließend an den Rändern. Wie Jeremys Blaubeerkuchen nachts um drei.

In 12 Berliner Kinos, OV im Cinestar Sony-Center und fsk am Oranienplatz.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false