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Bardem

© Tobis

Kino: Der Tränen-Ozean

Weltpudding: "Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ nach García Márquez läuft im Kino an. Man hätte mehr erwarten können.

Kinder als Kapital: Wie gezielt ehrgeizige Eltern im 16. Jahrhundert ihre heiratsfähigen Töchter für den eigenen sozialen Aufstieg benutzten, war soeben – auf der Berlinale – in Justin Chadwicks „Die Schwester der Königin“ zu sehen. 300 Jahre später ist in Kolumbien die Tochter Fermina für den Geschäftsmann Lorenzo Daza der Schlüssel zur höheren Gesellschaft. Ihre Hochzeit mit einem angesehenen Bürger wie dem Arzt Juvenal Urbino garantiert die erwünschte Anerkennung. Liebe und Gefühle spielen keine Rolle: Das ist in der Hafenstadt Cartagena nicht anders als im London Heinrichs VIII. Der arme Telegrammbote Florentino, der sich unsterblich in Fermina verliebt hat, wartet vergebens.

Die Geschichte vom verpassten Glück und der immerwährenden Hoffnung, die der kolumbianische Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez in „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ erzählt, gilt seit ihrem Erscheinen 1985 als eine der schönsten Liebesgeschichten der Weltliteratur: ein süffig geschriebener, leidenschaftlicher Roman, ein Schmöker und klassisches Drama zugleich. Kein Wunder, dass bei der jahrelang vorbereiteten Hollywood-Verfilmung weder Kosten noch Mühen gescheut wurden, um ein Epos à la „Vom Winde verweht“ oder „Das Geisterhaus“ zu inszenieren. Da rauschen die Gewänder und flackern die Kerzen, bröckeln die Fassaden und tuckern die Dampfer, und es fließen Tränen, viele Tränen – aus weit aufgerissenen Augen über bleiche Wangen und in zarte Tüchlein.

Keine großen Einfälle

Doch bei allem Pomp bleibt der Zuschauer seltsam unbeteiligt. Vielleicht, weil dieser Roman, der so leidenschaftlich von der Sprache der Liebe erzählt, auch in der Filmadaption eine starke eigene Sprache benötigte. Alles bei Márquez ist durch Sprache vermittelt: die Liebesbriefe, die Florentino an Fermina und bald als Lohnschreiber auch für Analphabeten auf dem Markt schreibt, die Liebesgedichte, mit denen er beim jährlichen Poesiewettbewerb auftritt, die ausführlichen Berichte, die er über die Frauen seines Lebens führt. Kaum Handlung und endlose Reflektion, das ist das Zaubermittel des Buchs. Der Film müsste dafür zumindest eine Entsprechung finden. Doch viel mehr als eine altmodische Schreibfeder, die über Papier kratzt, ist dem Produktionsteam nicht eingefallen.

Auch musste sich der aus spanischen, italienischen, brasilianischen und kolumbianischen Schauspielern zusammengesetzte Cast für die Hollywood-Produktion auf eine gemeinsame englische Sprache verständigen, was in der Originalfassung zu dem, gelinde gesagt, befremdlichen Ergebnis führt, dass alle Schauspieler mit mehr oder weniger starkem Akzent agieren. Und der Brite Mike Newell, der mit Filmen wie „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ oder „Harry Potter und der Gefangene von Azkaban“ auffiel, ist trotz seines Gespürs für Rhythmus und Timing wohl doch nicht der Richtige, um ein sinnliches südamerikanisches Liebesepos zu inszenieren. Offensichtlich funkt es auch nicht zwischen den Hauptdarstellern Javier Bardem und Giovanna Mezzogiorno, die zudem die schwere Aufgabe zu bewältigen haben, im Verlauf des Films um 50 Jahre zu altern. Da wird das Haar immer grauer, die Maske immer faltenreicher und der Gang immer gebeugter. Nur glaubwürdiger werden die Protagonisten nicht.

Bleiben schöne Bilder. So ist im Presseheft nicht von ungefähr ein Exkurs zur Geschichte und Kultur des Landes angefügt. Die Unesco-geschützten Altstadtviertel der Hafenstadt Cartagena, der üppige Urwald, die breiten, fast meerartigen Flüsse, die als Drehorte dienten, sind in der Tat eine Einladung für eine größere Reise. Zur Vorbereitung empfiehlt sich der Film kaum; der Roman aber sollte im Koffer nicht fehlen.

In 14 Berliner Kinos; OV im Cinestar SonyCenter, OmU im Neuen Kant

Christina Tilmann

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