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Kino: „Menachem und Fred“: Schuld und Söhne

Deutschland heute, aus israelischem Blick: Im Dokumentarfilm „Menachem und Fred“ besuchen jüdische Überlebende ihre alte Heimat - kein herausragender Film, aber ein überaus aufschlussreiches Thema.

Das eindrucksvollste Ereignis ist die Familienfeier zum Schluss: ein Großtreffen der Familie Mayer in Heidelberg und Hoffenheim. Zunächst etwas steife, förmliche Begrüßungsworte, man fährt mit dem Bus zur Besichtigung, wie war das noch mal mit koscherem Essen, fragt die eine Cousine im Hotel, und am Ende gibt es ein fröhliches Familienbild. Und mittendrin: auch Dietmar Hopp.

Dietmar Hopp ist der Gründer von SAP und große Förderer des TSG 1899 Hoffenheim. Er ist auch ein Sohn des SS-Manns Emil Hopp, der 1938 die jüdische Familie Mayer aus ihrem Haus aus Hoffenheim vertrieb. Nun hat sich Dietmar Hopp mit seinen Geschwistern überlegt, ein Familientreffen der Mayers in Deutschland zu organisieren – und zu finanzieren. Einschließlich Feierstunde im Rathaus von Hoffenheim.

"Ich will nicht mit"

Auf israelischer Seite tat man sich nicht leicht mit dem Angebot. „Ich habe ein schlechtes Gefühl“, bekennt die Ehefrau von Menachem Mayer. „Mir ist das unheimlich. Ich will nicht mit“. Menachems Sohn Jonathan ist pragmatischer: „Wenn er das alles zahlt, ist es mir recht.“ Nur als die Familie Hopp vorschlägt, dass doch der Name Hopp im Erinnerungsbuch der Mayer-Brüder, das sie übersetzen und in Deutschland herausbringen wollen, geändert werden soll, da stimmen die Mayer-Kinder verständlicherweise nicht zu: „Nicht nur die Opfer haben Namen, auch die Täter“.

Das israelische Unbehagen angesichts wohlgemeinter deutscher Sühneinszenierung – das ist nur ein Aspekt des Dokumentarfilms „Menachem und Fred“. Die israelischen Regisseure Ofra Tevet und Ronit Kertsner haben die Mayer-Brüder auf ihrer Reise zurück in die Heimat begleitet, aus der sie 1938 vertrieben wurden: erst nach Südfrankreich deportiert, dann in ein katholisches Waisenhaus, wo sie Krieg und Verfolgung überlebten. Dazu gibt es etwas aufdringliche Musik des Kieslowski-Komponisten Zbigniew Preisner, nachgestellte Kinder, die am Fluss spielen, sentimentale Erinnerungsbilder, das Repertoire des Fernsehfilms. Kein herausragender Film, aber ein überaus aufschlussreiches Thema.

Die Traumata der Kindheit konsequent mit Vergessen überdeckt

Deutschland heute, aus israelischem Blick: Das ist ungewohnt, und es fängt schon schmerzhaft peinlich an, mit einem Besuch bei den Nachbarn in Hoffenheim, die den Brüdern unwirsch erklären, die Deutschen hätten doch auch gelitten, im Zweiten Weltkrieg. Kein Kommentar, nur ein Blick Menachems in die Kamera. Auch die Spurensuche in Südfrankreich, wo längst ein dichter Wald das ehemalige Lager Gurs überdeckt, ist nicht ergiebiger. Und dann erklärt Menachems Sohn Jonathan in die Kamera, das sei hier alles ihr Land, während man mit ihm durch jüdische Siedlungen in der Westbank fährt. Israelische Siedlungspolitik, als Ausdruck der Angst, nie wieder verfolgt und vertrieben zu werden.

Doch die interessanteste Figur ist nicht Heinz, der sich heute Menachem nennt, der Biophysiker aus Israel, sondern sein älterer Bruder Manfred, kurz Fred. Der nach dem Krieg in die USA geht und noch einmal neu anfängt, neuer Name, Frederick Raymes, neue Familie, ein Leben als Raumfahrttechniker bei der NASA, und bloß nichts Jüdisches mehr. Fred lebt heute in Florida, ein zufriedener Rentner, der die Traumata der Kindheit konsequent mit Vergessen überdeckt hat. Die Briefe, die die Mutter aus dem Lager schrieb, in denen sie ihn beschwor, auf seinen Bruder aufzupassen, die hätte er am liebsten verbrannt. Am Ende sind es diese Briefe, die die Brüder wieder zusammenführen. Aus dem Off gelesen, erklingen die liebevollen Worte der Mutter, und Fred, im Bild, kommen die Tränen.

Mit den Hoffs sind die Brüder Mayer inzwischen befreundet. Man telefoniert regelmäßig, fährt gemeinsam in Urlaub. Die Familienangehörigen der jüngeren Generation, die sich in Hoffenheim versprachen, miteinander in Kontakt zu bleiben, haben sich seitdem nicht mehr gesehen.

- In Berlin in den Kinos Babylon Mitte und Neue Kant Kinos

Christina Tilmann

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