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Kino: Papier bewegt sich nicht

Frank Noack überlegt, welche Literatur verfilmbar ist.

Seit es Literaturverfilmungen gibt, machen sich Kritiker Gedanken darüber, was überhaupt verfilmbar ist. Wie zum Beispiel erklärt man, dass nach Vorlagen von Henrik Ibsen und August Strindberg ein paar beachtliche, aber nicht wirklich epochale Filme entstanden sind? Eignen sich Kammerspiele nicht für die Leinwand? Das sollte kein Problem sein, denn zu den unbestrittenen Meisterwerken der Filmgeschichte gehören Arbeiten von Ingmar Bergman, in denen nichts anderes passiert als bei Ibsen oder Strindberg. Andererseits muss man fragen, warum die Bühnenversionen der BergmanFilme nicht zum Theaterkanon gehören.

Derartige Fragen wirft der letzte Film des Dänen Carl Theodor Dreyer auf: Gertrud (1964) ist die Adaption eines Stückes aus dem Jahr 1906 (Dienstag im Arsenal). Hjalmar Sjöberg erzählt darin eine Nora-Geschichte: Eine Frau aus dem Bürgertum verlässt ihren Ehemann für einen Liebhaber, mit dem sie auch nicht glücklich wird. Am Ende ist sie alt und allein, wirkt aber trotzdem befreit. Worin besteht die Meisterschaft? Streng und asketisch sind viele andere Filme auch, ohne eine vergleichbare Faszination zu besitzen. Bei Dreyer leuchten die Bilder in schwarz-weiß. Er hat originelle Lichtquellen benutzt. Die Bilder vibrieren, auch wenn die statische Kamera auf unbewegte Akteure gerichtet ist. Warum hat Dreyer nicht gleich „Nora“ gewählt? Vielleicht, weil sein Geist der einzige sein sollte, der durch den Raum schwebt.

Vor James Joyce haben sich Filmemacher erst recht gedrückt, obwohl er vom Kino beeinflusst war. Beim Lesen spürt man Schnitte und Überblendungen, und es mag konsequent sein, dass die beste Joyce-Adaption fürs Kino, „Passages from Finnegan's Wake“, einer Experimentalfilmerin zu verdanken ist. Die Werke von Mary Ellen Bute (1906-1983) sind kürzlich in den arsenal experimental-Verleih aufgenommen worden und dadurch zum ersten Mal außerhalb der USA zugänglich. In den dreißiger Jahren war sie dem breiten Publikum ein Begriff, ihre Experimente mit Licht und Musik kamen als Vorfilm zum Einsatz. Sie hatte Malerei studiert und sich als Beleuchterin betätigt, bevor sie in der Animation ihre Berufung fand. Ihre Transformation akustischer Signale in optische ist heute ein elementarer Bestandteil der MTV-Ästhetik. Bute suchte für Musikstücke von Bach, Wagner, Milhaud und Schostakowitsch die passenden geometrischen Formen. Das Arsenal präsentiert am heutigen Donnerstag 14 Kurzfilme von ihr, mit so vielsagenden Titeln wie „Rhythm in Light“, „Dada“, „Polka Graph“, „Color Rhapsody“ und „Sensations in Sound“. Ihr Versuch über Joyce wird zu einem späteren Termin gezeigt.

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