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Cassandras Traum

© Cinestar

Kino: Vom Tellerwäscher zum Marodeur

Woody Allens dritter Londoner Streich: die rabenschwarze Kino-Moritat „Cassandras Traum“. Ursprünglich hatte der deutsche Verleih den Gedanken verworfen, den Film in Deutschland ins Kino zu bringen.

Dieser Tage ist im britischen „Guardian“ eine Philippika gegen Woody Allen erschienen. Ihr Tenor: Bitte, Europa, finanziert diesen Mann nicht mehr. Lustvoll malt sich Filmkritiker Joe Queenan aus, wie Woody Allen ein europäisches Land nach dem nächsten mit seinen Filmen überzieht: Ein Woody Allen in Zagreb, der einen serbischen Komödianten spielt, der sich in eine bosnisch-amerikanische Austauschstudentin verliebt. Ein Woody Allen in Polen, in dem sich ein Klezmer-Musiker in eine Wissenschaftlerin verliebt, die Chopins mysteriösem Tod nachforscht. Ein mazedonischer Woody Allen, der Besuch von einem Geist bekommt, der behauptet, Alexander der Große zu sein. Und so weiter.

„Cassandras Traum“ ist der dritte Film, den Woody Allen in London gedreht hat, nach „Match Point“ (2005) und „Scoop“ (2006). Und: Woody Allen spielt gar nicht mit. Auch Scarlett Johansson ist diesmal nicht dabei. Dafür aber Sally Hawkins, die in diesem Jahr ihren Durchbruch auf der Berlinale erlebt hat, als sie für ihre Rolle in Mike Leighs „Happy Go-Lucky“ den Silbernen Bären erhielt. Gut für die Entdeckung junger Schauspieler – und Schauspielerinnen! – ist Allen noch immer. Und dafür, aus schon sattsam bekannten noch unbekannte Seiten herauszukitzeln.

Ewan McGregor und Colin Farrell, zwei Megastars des britischen Kinos, spielen die Brüder Ian und Terry. Zwei liebende Brüder und rücksichtsvolle Söhne, deren Liebe zum Geld fatalerweise noch etwas größer ist als ihr Familiensinn. Lange nicht mehr hat man Ewan McGregor, den britischen Sunny Boy, so smart, so kalt, so rücksichtslos erlebt, in seinem Wunsch, die kleine Welt des Elternhauses hinter sich zu lassen, notfalls auch über Leichen. Und wohl noch nie Colin Farrell so labil, so herzzerreißend skrupulös. Ihm zuzusehen, wie im Verlauf des Films nicht nur sein Leben, sondern seine ganze Persönlichkeit zerbröselt wie trockener Ton – das allein ist den Besuch des Filmes wert.

Was die beiden sympathischen Jungs aus Londons südlichen Arbeitervierteln antreibt, ist der alte TellerwäscherTraum vom Aufstieg in bessere Verhältnisse: Nicht mehr kellnern im Restaurant des Vaters, nicht mehr jeden Sonnabend zum Hunderennen, mit der Hoffnung auf den großen Gewinn. Es ist noch nicht einmal ein großes Boot, dieses Boot namens „Cassandras Traum“, aber der eine unschuldige kleine Segeltörn mit den beiden vergnügten Freundinnen an Bord verrät, wie leicht das Leben sein könnte, das Ian und Terry sich erhoffen. Kein Wunder, dass sie ein unmoralisches Angebot vom reiche Erbonkel aus Amerika am Ende trotz aller Bedenken annehmen. Doch Tellerwäscher, so Allens bittere Schlussfolgerung, haben keine Chance im neuen Europa. Es ist halt ein amerikanischer Traum.

„Cassandras Traum“ ist auch ein Ausflug in die britische Unterschicht: Ein bisschen Mike Leigh – der diese Unterschicht mit ihren Hoffnungen zuletzt in „Happy Go-Lucky“ allerdings schärfer, authentischer, klüger gezeichnet hat –, ein bisschen Ken Loach, ein bisschen „Trainspotting“ und „Ganz oder gar nicht“. Der britische Humor, der diese Filme auszeichnete, ja bei aller Düsternis erträglich machte, fehlt allerdings. Auch Woody Allens silbrig-melancholische Selbstironie, sein philosophisch getönter Fatalismus geht „Cassandras Traum“ völlig ab. Hier erörtert er todernst existenzielle Fragen, und das Ende, das er bereithält, ist rabenschwarz und hoffnungslos. Und das soll man von ihm nicht sehen wollen?

Ursprünglich hatte der deutsche Verleih, nach der eher verhaltenen Aufnahme des Werks auf dem Festival von Venedig 2007, den Gedanken verworfen, den Film in Deutschland ins Kino zu bringen – und plante nur mehr den Vertrieb auf DVD. Mag sein, dass selbst im Allen-treuen Deutschland nach einer ganzen Reihe schwächerer Filme eine gewisse Allen-Müdigkeit eingetreten ist. Andererseits geht es Woody Allen wie dem ebenfalls schon über 70-jährigen Claude Chabrol: Der bringt auch noch immer zuverlässig einen Film pro Jahr heraus und kann sich – nicht nur wegen der Schauspielerleistungen – stets locker mit vielem messen, was sonst selbstverständlich groß im Kino anläuft.

Gewiss, Woody Allen hat bessere Jahre gesehen und, ganz recht, gerade dieser Woody Allen könnte in Manchester oder Liverpool spielen, in Glasgow oder Dublin, vielleicht auch in Belgrad oder Zagreb, Bukarest oder Istanbul, besser und überzeugender sogar. Doch ein Onkel aus Europa, der dafür Geld gibt, sollte sich immer noch finden.

Ab Donnerstag in Berlin im Capitol, Delphi, International, Kulturbrauerei und Yorck; Originalversion im Neuen Off

Christina Tilmann

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