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Szene aus der Dokumentation "Benda Bilili!", die am Samstag und Sonntag im Babylon läuft.

© Festival

Kinofestival: Liebesgrüße aus Kinshasa

Bernhard Karl lebt für seine Kinoleidenschaft – und veranstaltet das Festival "Around the World in 14 Films". Er will große Filmkunst gebührend feiern, aber nicht beweihräuchern.

Schlicht und karg möbliert ist die Wohnung von Bernhard Karl. Eine einzige Fotografie hängt in den Räumen, die er mit seiner Lebensgefährtin bewohnt. Auf dem Schreibtisch ein Globus, in die Ecke gequetscht ein kleiner Fernseher. Vor allem fehlen die erwarteten Stapel verstaubter DVDs und Video-Kassetten. Es sieht fast so aus, als wolle der Gründer des Festivals „Around the World in 14 Films“ sich zu Hause eine filmfreie Zone bewahren. Schließlich ist er sonst ständig von bewegten Bildern umgeben. Er besucht zehn Festivals im Jahr, sieht rund 500 Filme.

Ab heute zeigt er – nun schon zum fünften Mal – die Schätze, die er von seinen Reisen mitgebracht hat. Aus Erfahrung weiß Karl, wie schwer es für Amateure ist, Zugang zu den großen Festivals zu erhalten: „In Cannes bist du ohne Akkreditierung ein Arsch!“ Die ordentlich gescheitelten Haare fallen in die Stirn, wenn er heftig nickt.

Seine eigene Veranstaltung im Kino Babylon Mitte richtet sich bewusst an ein breites Publikum. Es soll kein Rotes-Teppich-Festival sein. Karl will große Filmkunst gebührend feiern, aber nicht beweihräuchern. Die Menschen sollen das erleben, was er selbst so liebt.

Seine Leidenschaft hat er beim ersten Kinobesuch gefunden. Bis heute erinnert er sich lebhaft an die Komödie „Liebesgrüße vom Wörthersee“. Bald darauf wollte er Regisseur werden. Mit 17 reist er aus seinem Dorf Fahrenzhausen bei Freising zum Filmfest München und trifft auf Gleichgesinnte. Sie eilen von einer Vorführung zu nächsten, tauchen ab in eine andere Welt. Zum ersten Mal erlebt Karl dieses Glücksgefühl, das er nicht in Worte fassen kann. Noch während des Filmfestes ergattert er eine Assistenz an der Hochschule für Film und Fernsehen in München. Dort lernt er, welch ein großer technischer und finanzieller Aufwand hinter einer Filmproduktion steckt, und wechselt abgeschreckt in eine Regie-Hospitanz an den Münchner Kammerspielen.

Bernhard Karl.
Bernhard Karl.

© Thilo Rückeis

Er bleibt 13 Jahre am Theater. Doch aus einer Karriere als Regisseur wird nichts, was vor allem an seinen eigenen Ansprüchen liegt: „Meine Arbeiten waren mir nicht genial genug“, sagt er heute. Schließlich verlässt er die sichere Anstellung und wird Besetzungschef. So wählt er etwa die Schauspieler für Sönke Wortmanns „Das Wunder von Bern“ aus. Doch sein Traum ist ein Job bei einem der großen Film-Festivals. Er bewirbt sich bei der Berlinale, doch wird er abgelehnt. Ohne Berufserfahrung hat er dort keine Chance. Auf den Hofer Filmtagen klagt er einem Freund sein Leid, und dieser rät ihm, selbst ein Festival zu organisieren. „Manchmal“, sagt Karl, „trifft dich ein Satz wie ein Dolchstoß“. Nur Stunden später entsteht „Around the World in 14 Films“. Alles ist sofort da, die Idee der Weltreise, die Zahl 14 – für die Regionen, aus denen er gute Filme kennt.

Das Budget des Festivals ist winzig, ohne die Hilfe vieler Bekannter und Freunde wäre es nicht möglich. Alle arbeiten für sehr wenig Geld, keiner hauptberuflich. Für ein Büro reicht das Geld nicht, es gibt nur den manischen Bayern und seinen kleinen Laptop. Er ist froh, so viele Unterstützter gefunden zu haben. Inzwischen sei es fast wie bei den Großen, stellt der 44-Jährige stolz fest.

Für die fünfte Auflage des Festivals verspricht er: „Mit der Crème de la Crème der aktuellen Filmkunst auf du und du.“ Sein persönlicher Favorit? „Autobiografia Lui Nicolae Ceausescu“, für die Regisseur Andrei Ujica über 1000 Stunden Material gesichtet hat. Gefährlich sympathisch wirkt der Diktator in dieser Montage seiner öffentlichen Auftritte. Ein solcher Film, räumt Karl ein, fordert natürlich ein gewisses Vorwissen. Oder ein Gespräch. Deshalb bemüht sich Bernhard Karl, zu jedem Werk den Regisseur oder einen Hauptdarsteller nach Berlin zu bringen.

Eine Besonderheit von „Around the World in 14 Films“ ist, dass jeder Film von einem Paten vorgestellt wird – auch das fördert den Dialog. So präsentiert zum Beispiel Regisseur Wim Wenders das brasilianische Drama „I travel because I have to, I come back because I love you“ von Marcelo Gomes und Karim Ainouz. Schauspielerin Meret Becker ist die Patin von „Benda Bilili!“. Diese Dokumentation eröffnete die diesjährige „Quinzaine“ beim Festival von Cannes, wo sie begeistert aufgenommen wurde. Die Regisseure Renaud Barret und Florent de la Tullaye haben fünf Jahre lang die obdachlosen und behinderten Musiker von Staff Benda Bilili begleitet, deren Plan es ist, die beste Band von Kinshasa zu werden.

Mit „Life during Wartime“ bringt Bernhard Karl das neueste Werk eines prominenten US Indie-Regisseurs nach Berlin: Todd Solondz hat eine Fortsetzung seines Kultfilms „Happiness“ (1998) gedreht, in der er noch einmal in die Familienhölle der Jordans blickt. Die melancholische Komödie lief letztes Jahr auf dem Festival von Venedig, schaffte es aber bisher nicht in die deutschen Kinos. Hierzulande, sagt Karl resigniert, verkauften sich nur Filme zum Lachen oder über Hitler – und wenn sie einen großen Preis gewonnen haben. „Eine Entwicklung, von der ich mit meinem Festival profitiere“, gib er zu. Die meisten der Produktionen, die Karl zeigt, haben in Deutschland noch keinen Verleih. Die Produzenten hoffen, mithilfe von „Around the World in 14 Films“ vielleicht doch noch in die deutschen Kinos zu gelangen, und lassen die Werke zu einem reduzierten Tarif dort laufen. Für die Zukunft plant Karl eine Internet-Datenbank. Hier sollen die Filme des Festivals gegen eine Gebühr online zu sehen sein. Mit zwei internationalen Verleihern gibt es bereits eine Einigung.

Bernhard Karls Filmleidenschaft ist aufwendig und teuer. Seit zwei Jahren deckt seine hauptberufliche Arbeit als einer der Programmverantwortlichen des Filmfests München einen Teil seiner Reisekosten, doch das reicht bei Weitem nicht. Manchmal helfen Bekannte aus, mitunter schläft er in Jugendherbergen. Alles „für diese zehn Wochen Injektion von Intensität und Welt“, sagt er. Seine gut behütete Kindheit im kleinen Fahrenzhausen, sagt Karl und greift zum Foto der Eltern, habe ihm den Raketenstart in die ganze Welt ermöglicht. Und so ist er unermüdlich unterwegs. Von Locarno bis Toronto. Von Cannes bis Venedig. Von Film zu Film – immer eine Hand am Globus.

Berlin Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, Freitag, 26.11., bis Samstag, 4.12., Infos: www.berlinbabylon14.de

Jakob Wais

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