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Knast-Drama: Löwenkäfig

Packend: das argentinische Knast-Drama "Löwenkäfig" von Pablo Trapero benutzt eine potentielle Mörderin als Identifikationsfigur.

Der Kopf auf dem Kissen dreht sich zur Seite. Darunter wird ein Fleck von geronnenem Blut sichtbar. Julia (Martina Gusman) scheint die Blessuren an ihrem Körper, die Verwüstung der Wohnung nicht zu bemerken. Sie duscht, geht zur Arbeit und erwacht erst auf dem Heimweg in dem Albtraum, der fortan ihr Leben bestimmen wird. In der Wohnung liegen zwei nackte Männer. Der eine ist tot und der Vater des Kindes, das Julia in sich trägt. Der andere hat gerade so überlebt. Nur schemenhaft kann sich Julia an die Nacht zuvor erinnern. Für die Polizei hingegen ist die Beweislage klar. Als Hauptverdächtige landet Julia im Frauengefängnis von Buenos Aires auf einer Station für Schwangere und Mütter. Hier wird sie ihr Kind zur Welt bringen und möglicherweise den Rest ihres Lebens verbringen.

Bis zum vierten Lebensjahr, so will es das argentinische Gesetz, können die Kinder bei ihren Müttern im Gefängnis bleiben, bevor sie zu Verwandten oder ins Heim kommen. Auch wenn die MutterKind-Station als Schutzraum vor dem gewalttätigen Gefängnisalltag eingerichtet wurde, Pöbeleien, Machtkämpfe und sexuelle Belästigungen gibt es auch hier. In ihrer Zellennachbarin Martha (Laura García) findet Julia eine Beschützerin. Verstärkt der Umgang mit dem Neugeborenen anfangs noch die Verzweiflung, wird das Kind zunehmend zum emotionalen Rettungsanker. Als die Großmutter den Kleinen nach einem Arztbesuch nicht wieder zurückbringt, droht Julia den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Hoch dramatisch und zugleich gänzlich kitschfrei erzählt der argentinische Regisseur Pablo Trapero die Geschichte einer Mutterschaft unter den drastischen Bedingungen des argentinischen Gefängnissystems. Dabei hält sich die Kamera immer an die Knastrealität und subjektive Sicht der Protagonistin. Gedreht wurde direkt in der Justizvollzugsanstalt, mit Wärterinnen und Häftlingen als Statisten. Anders als im klassischen Gefängnisdrama liegt der Fokus nicht auf den Auseinandersetzungen mit sadistischem Wachpersonal und gewalttätigen Mitgefangenen. Die strukturelle Gewalt des Gefängnissystems ist durchaus spürbar, wird jedoch nicht in personifizierten Konflikten individualisiert.

„Löwenkäfig“ konzentriert sich auf die Entwicklung der weiblichen Hauptfigur, die aus der Beziehung zu dem Kind eine Würde entwickelt, die sie gegen den Gefängnisalltag schützt. Die Schuldfrage am begangenen Verbrechen lässt der Film gezielt offen. Eine potenzielle Mörderin als Identifikationsfigur: In Hollywood wäre das ein Ding der Unmöglichkeit.

Broadway, Filmtheater am Friedrichshain, Hackesche Höfe (OmU)

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