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Michael Moore: Hände hoch und raus!

Venedig: Wie Michael Moore mit "Capitalism: A Love Story" die Wirtschaftskrise auf’s Korn nimmt. Überrascht hat ihn die Krise nicht.

Vor anderthalb Jahren hat Michael Moore mit dem Dreh begonnen, und überrascht hat ihn der Zusammenbruch der weltweiten Wirtschaft im vergangenen Herbst nicht: „I heard it coming“, bekennt er beim halbpresseöffentlichen Treffen, wenige Stunden bevor „Capitalism: A Love Story“ das erste Mal gezeigt wird. Dass das Wirtschaftssystem ein Kartenhaus war und auf Sand gebaut, sei ihm schon damals sonnenklar gewesen. „Wer sich vom Zusammenbruch überrascht gezeigt hat, war entweder ein sehr guter Schauspieler oder sehr dumm.“

Überrascht ist Michael Moore in Venedig von ganz anderen Nachrichten. Etwa davon, dass Journalisten keine Interviews mit ihm bekommen haben, weil sie die geforderten Summen nicht aufbringen konnten. „Sie müssen zahlen, damit Sie mit mir sprechen dürfen?“, wundert sich Moore, als Kollegen aus Brasilien, Norwegen, Italien diese Praxis bestätigen. Ein Nebenschauplatz, und doch mehr. Denn auch Michael Moore ist Teil der kapitalistischen Verwertungskette, hat seinen Film mit Paramount Vantage und den Weinstein Brothers produziert und stets satte Gewinne eingefahren – bei „Fahrenheit 9/11“ waren es 500 Millionen Dollar weltweit. Da kann er noch so sehr damit kokettieren, dass dies jetzt der letzte Film wäre, der finanziert würde – man ändert das System nicht, indem man Teil von ihm ist. Oder? „Auch ein System besteht aus Menschen, und gerade in Hollywood sind die meisten Executives persönlich meiner Meinung. Das System muss sich selbst ändern.“

Moore zeigte seine Filme bislang meist in Cannes, nun ist mit „Capitalism: A Love Story“ erstmals auch im Venedig-Wettbewerb ein Dokumentarfilm von ihm zu sehen – und Oliver Stone ist passend dazu mit seiner bewusst einseitigen Dokumentation „South of the Border“ angereist und schildert, wie in Südamerika eine neue Linke an die Macht kommt, die die Abhängigkeit vom Internationalen Währungsfonds und amerikanischen Wirtschaftsinteressen durch eine eigene Währungsunion und mehr Selbstbeteiligung ersetzen will.

Auch Moore macht klar: Kapitalismus ist ein „rape system“, ein Vergewaltigungssystem, und eines dazu, das perfiderweise mit Zustimmung der Opfer agiert. Nicht nur Banken, Korporationen und Politiker sind für das Desaster verantwortlich, sondern auch die Menschen selbst, predigt der missionarische Dokumentarfilmer, und belegt mit geheimen Papieren von Citibank, wie die amerikanische Demokratie längst auf dem Weg in eine Plutokratie ist, wo ein Prozent Superreiche mehr verdienen als 95 Prozent der Bevölkerung, gleichzeitig im Finanzministerium die Strippen ziehen. Die vor allem durch Krankenhaus- und Arztkosten hoch verschuldeten Amerikaner sperren sich trotzdem vehement gegen Obamas Reform des Gesundheitssystems. Kein Wunder: In einem Land, wo achtzig Prozent nicht in der Lage seien, den Irak auf der Landkarte zu finden, sei alles möglich, erklärt Moore, und fordert, dass man zumindest, bevor man ein Land überfalle, beweisen müsse, dass man weiß, wo es liegt.

Es gibt schon in der Pressevorführung wieder kräftig Applaus, als Moore mit Wucht offene Türen einrennt. Nicht, dass er über die Hintergründe der Bankenkrise Neues zu berichten hätte. In der typischen Moore-Manier aus Holzhammerargumentation und polemischen Gegenschnitten wird die Geschichte des Kapitalismus von den alten Römern bis heute erzählt, unterlegt mit wuchtigem Actionfilm-Soundtrack. Es beginnt mit Sklavenhaltung, Brot und Spielen im alten Rom, die nahtlos mit Fabrikarbeitern, Irakkrieg und Bushs Administration überblendet werden, und mündet bald im großen Showdown, dem Zusammenbruch.

Alles hängt hier mit allem zusammen: Die niedrigen Löhne für Piloten sind verantwortlich für Flugzeugabstürze, ein korrupter Richter liefert einem privaten Gefängnisbetreiber die jugendlichen Delinquenten frei Haus, die Unternehmen bereichern sich durch Lebensversicherungen, die sie auf ihre Angestellten abschließen und bei Ableben kassieren, kein Mensch versteht das Wallstreet- Spiel der Rückversicherungen, und die Schuldner, die aus dem Haus gejagt werden, dürfen für 1000 Dollar die Bude noch gleich für den Käufer renovieren. Und in Moores Heimatstadt Flint, einer der Städte mit der höchsten Arbeitslosigkeit, werden die Briefe mit den Räumungsklagen für ganz Amerika verschickt.

Und doch besteht auch für die USA Hoffnung. So hat „Capitalism: A Love Story“ wider Erwarten ein Happy End, als Hoffnungsträger Obama die Macht übernimmt und sich mit streikenden Fabrikarbeitern in Chicago solidarisch erklärt - mit Obamas triumphalem Wahlsieg endet auch Oliver Stones Film. Und während Michael Moore die Wall Street mit gelbem Polizeiklebeband als „Crime Scene“ markiert, besetzen Nachbarn ihre geräumten Häuser, schlagen sich Bischöfe und Kongressabgeordnete auf die Seite der Streikenden, weigern sich Sheriffs, weitere Räumungsbefehle auszuführen. „Sie müssen mich zwingen“, erklärt Obama, als ein Wähler die Einhaltung seiner Versprechen einfordert, und spielt damit den Ball zurück an alle. Weder ein Obama noch ein Moore allein ändert die Welt.

Christina Tilmann

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