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© 20th Century Fox

Mythos Indien: Eine schrecklich liebe Familie

Mira Nair geht in ihrem neuen Multikulti-Opus "The Namesake“ an die Grenzen des Harmoniebedürfnisses.

Reisen eignen sich gut als filmisches Material – spiegelt doch schon ihr Handlungsrahmen wider, was die Dramaturgie seit Aristoteles fordert: Entsende deinen Helden auf einen dornigen Weg. Schicke ihn dorthin, wo es wehtut, gib ihm eine Aufgabe, die er nur unter Aufbietung all seiner Kräfte lösen kann.

Insofern ist der Beginn von „The Namesake“, Mira Nairs Verfilmung des Romans von Pulitzer-Preisträgerin Jhumpa Lahiri, durchaus klassisch zu nennen. Heldin Ashima (gespielt von Nationalstar Tabu) bricht auf in eine neue Welt. In einem der ersten Bilder sitzt die junge Bengalin in Kalkutta mit ihren Eltern, dem dick bebrillten Bräutigam Ashoke (Irrfan Khan) und dessen Eltern beisammen – typisches Setting einer zu arrangierenden indischen Ehe, nur dass Ashoke in New York lebt und dort seinen Doktor in Glasfaseroptik macht.

Ob sie sich nicht vor Einsamkeit fürchte, so weit weg, in all diesen kalten Wintern, fragen die Eltern Ashima. „Wäre er nicht da?“, antwortet sie – ein ebenso koketter wie sittsamer Seitenblick auf Ashoke, und ihr Schicksal ist besiegelt. Angekommen in New York, entsteigt Ashima dem Bett, öffnet den Koffer, schlingt ein indisches Tuch um sich. Die erwarteten Härten bewahrheiten sich nicht: „Bist du da?“, fragt sie in die Wohnung hinein, und Ashoke erscheint, schickt sie zurück ins warme Bett, will noch einen Tee reichen. Sie macht große Augen: ein Mann, der die Frau umsorgt? „Das ist so in Amerika“, sagt er.

So nett geht’s weiter. Ashoke wird Professor, die beiden ziehen nach Suburbia, bekommen zwei Kinder, aus denen Teenager, junge Erwachsene werden. Doch wie „Ich finde dich nett“ die niederschmetterndste Antwort auf eine Liebeserklärung ist, so schmeichelt der Satz auch keinem Film. Wo ist das Drama, das doch Konflikt bedeutet und im besten Fall Erkenntnis und Erfahrung? „The Namesake“ erzählt lieber elliptisch die Métissage-Geschichte einer Familie – allerdings ohne dass die multikulturelle Mischung tatsächlich spürbar wird.

Flugs wird jedweder Anlass zur Reibung übersprungen: Der Sohn ist gerade geboren, da sagt Ashima, sie wolle heim. Ein Schnitt, und die Familie steht am Meer, doch immer noch in den USA, der Sohn ist inzwischen vier. Zwar hat Ashima auch jetzt ein Tuch übergeworfen, nunmehr allerdings eines aus guter amerikanischer Baumwolle. Eine Assimilation hat sich vollzogen, leider außerhalb unseres Blicks. Das Maximum an Konfliktdarstellungsbereitschaft bietet Nair noch beim Sohn Gogol (Kal Penn) auf: Der hadert mit seinem Namen, bis er herausfindet, warum sein Vater ihn nach dem russischen Schriftsteller taufte – doch Nairs roter Faden durch die Filmjahrzehnte gerät sogleich zu grell.

Auch sonst dominiert das Grobe. Konventionell etwa die Schnitte – etwa der von Ashimas dunklem Auge auf die Eiszapfen draußen –, ähnlich kontrastheischend die Ton-Bild-Montagen: „Ich bin sehr glücklich hier“, hört man sie im Brief an die Eltern lesen, dabei flüchtet sie aus dem Waschsalon, in dem ein Mann sich neben ihr unbekümmert entkleidet. In ihrem Film folgt Mira Nair der découpage classique so sehr, dass man sich mitunter eine bollywoodeske Sing-und-Tanz-Einlage aus dem Nichts herbeiwünscht, nur damit die artige Narration kurz bricht. Stattdessen bebildert die Regisseurin 122 Minuten lang eine immerselbe Botschaft: So lange du dein Herz, deine Familie nicht verlierst, kann dir nichts Böses widerfahren. Das ist wohltuend, sicher, aber auch langweilig – und so geschieht recht wenig auf dieser äußeren Reise, der die innere fehlt.

Capitol, Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmkunst 66, Kulturbrauerei; Cinestar Sony Center (OV), Passage (OmU)

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