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© dpa

Oscar 2009: Die Stunde der Außenseiter

Du kannst es schaffen: Das ist die Botschaft der 81. Oscar-Verleihung und ihrer Gewinner. Die Sieger sind Ghettokids, ein schwuler Politiker und ein junger Autor.

Es ist ein weiter Weg nach Hollywood. Von Ost-Berlin zum Beispiel, wo der heute 41-jährige Regisseur Jochen Alexander Freydank aufwuchs, der mit seinem Kurzfilm „Spielzeugland“ gestern Nacht den Oscar für den besten Kurzfilm gewann. „Ich komme aus Ostdeutschland, von jenseits der Mauer. Da war schon Westdeutschland weit weg, und Hollywood sehr, sehr weit weg“, rief der Schlacks mit Glatze in seiner Dankesrede.

Weit ist es auch vom britischen Reading aus, wo die achtjährige Kate Winslet vor dem Badezimmerspiegel eine OscarDankesrede übte, als Statue diente eine Schampoo-Flasche. Nun, beim sechsten Anlauf, darf sie die Trophäe für ihre Rolle der Hanna Schmitz in Stephen Daldyrs „Der Vorleser“ endlich in Händen halten, und ihre Freude ist überwältigend: „Dad, Du bist hier irgendwo im Saal, bitte pfeif doch mal, damit ich Dich sehe“, dankt sie ihren Eltern, prompt kommt ein heller Pfiff. Und Winslet widmet ihren Oscar den beiden verstorbenen Produzenten Anthony Minghella und Sidney Pollack.

Weit ist es von dem kleinen Kaff San Antonio in Texas, wo Dustin Lance Black, der erst 35-jährige Drehbuchautor von „Milk“, in einem Mormonenhaushalt aufwuchs und irgendwann von Harvey Milk, dem schwulen Politiker aus San Francisco, hörte. Dessen Engagement gab ihm den Mut zum Leben, zum Glauben daran, dass auch er einmal lieben und heiraten dürfte. Nun widmet er seinen Oscar „all den schwulen und lesbischen Kids da draußen“ und verspricht ihnen, mit Blick auf die jüngsten Anti-Schwulen-Kampagnen in den USA: „Ihr werdet irgendwann gleichberechtigt sein.“ Und erntet stürmischen Beifall.

Weit ist es schließlich von Alcobendas in Spanien, wo Penelope Cruz schon als Kind nachts aufblieb, um die Oscar-Verleihung zu verfolgen: Niemals hätte sie geträumt, dass sie einmal selbst hier stehen würde, bekannte die Schauspielerin, die für ihren temperamentvollen Auftritt in Woody Allens „Vicky Cristina Barcelona“ als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet wurdc. Ihre leidenschaftliche Liebeserklärung an das Kino und seine weltumspannende Kraft rührte schon in den ersten Minuten der Oscar-Verleihung zu Tränen.

Besonders weit ist es von Bombay in Indien. Weshalb Regisseur Danny Boyle, der mit seinem Kinomärchen „Slumdog Millionär“ der große Gewinner des Abends ist, so viele Teammitglieder wie möglich nach Los Angeles gebracht hat. Sie singen, sie tanzen, sie winken schon bei den kleineren Preisen mit ansteckender Begeisterung aus dem Zuschauerraum, und als der Film schließlich den Haupt-Oscar für den besten Film gewinnt, stehen sie alle auf der Bühne, die kleinen indischen Kinder, und strahlen mit großen Augen ins Publikum.

Ja, es ist weit, aber nie so weit, dass du es nicht schaffen kannst. Das ist die Botschaft dieser Oscar-Nacht, die aus einem mittelguten Kinojahrgang und einer finanzkrisengeschüttelten Branche unversehens einen Appell zu Hoffnung und Selbstvertrauen zieht. Mag sein, dass die Veranstaltung im Kodak-Theatre von Los Angeles weniger aufwendig war als zuvor. Auf dem Roten Teppich dominieren die Farben Weiß, Schwarz und Grau, und auch das Showprogramm ist deutlich verknappt. Doch die coole Moderation des australischen Schauspielers Hugh Jackman gibt dem Abend Tempo, Schwung und Niveau und erinnert immer wieder an das Wesentliche, den Film. Drehbuch und Set, Kostüm und Kamera, Musik und Schnitt, alle Stufen zum fertigen Film werden gefeiert als gleichberechtigte Partner. Nicht mehr die Show, sondern der Film steht im Mittelpunkt. Und die Entscheidung, die Schauspieler-Oscars je von fünf berühmten Kollegen, von Tilda Swinton bis Sophia Loren, von Adrien Brody bis Robert de Niro, mit sehr persönlichen Hommage-Reden anmoderieren zu lassen, sorgte gar für bewegende Sternstunden der Schauspielerzunft. Standing Ovations, für alle Beteiligten.

Das Signal heißt Zukunft, Öffnung, Mut. Eine Reise in die weite Welt statt zurück in die Vergangenheit. Dass „Slumdog Millionär“, die Aufstiegsgeschichte eines Ghettokids aus Bombay, den zweiten Favoriten, David Finchers „Der seltsame Fall des Benjamin Button“, aus dem Rennen schlagen würde – acht Oscars gegen drei in Nebendisziplinen –, war nicht vorauszusehen. Im Gegenteil: Ein Kopf-anKopf-Rennen war erwartet worden, das auch anders hätte ausgehen können. Bietet „Benjamin Button“ doch alles, was bei Oscarverleihungen, von „Titanic“ bis „Gladiator“ regelmäßig honoriert wurde: Stars, Spektakel, große Gefühle, historische Kostüme. Diesmal siegte eine Story aus einer fremden Welt, gedreht von einem britischen Regisseur, mit größtenteils unbekannten Darstellern.

Dass weder die wegen ihrer HolocaustThematik chancenreiche SchlinkVerfilmung „Der Vorleser“ noch Fincher gewonnen hat, darf getrost als Signal in Richtung Weltkino gelten. Auch der deutsche Beitrag „Der Baader-Meinhof-Komplex“, der mit Baller- und Ausstattungsorgien selbstbewusst auf Hollywood macht, unterlag beim Oscar für den besten fremdsprachigen Film dem japanischen „Departures“ über einen arbeitslosen Cellisten, der als Bestatter anheuert. Die Academy of Motion Pictures, die lange als Insiderclub verschrien war, öffnet sich konsequent den Außenseitern. Einem deutschen Kurzfilmregisseur, einem spanischen Star, einem jungen Drehbuchautor, indischen Ghettokids und dem schwulen Politiker Harvey Milk, für dessen Verkörperung Sean Penn als bester Hauptdarsteller geehrt wurde. Auch Mickey Rourke hätte für „The Wrestler“ den Preis verdient – selten ist ein Schauspieler herzlicher zurück im Kreis der Kollegen willkommen geheißen worden.

Der berührendste Moment war, erwartungsgemäß, der postume Oscar an den 2008 verstorbenen Heath Ledger. Entgegengenommen haben ihn die Eltern und die Schwester, sie sprachen vom Vermächtnis, das Ledger mit seiner leidenschaftlichen Hingabe hinterlassen habe. Und die ganze Filmfamilie im KodakTheatre erhob sich ihm zu Ehren.

Christina Tilmann

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