zum Hauptinhalt
Harry Potter

© Promo

Potter-Film: Auch ein Pubertist

Dritte Dimension: "Harry Potter und der Orden des Phönix" kommt mit Imax-Elementen ins Kino.

Arthur Weasley, der große MuggelMenschen-Freund und Vater von Harrys bestem Freund Ron, kann sich kaum fassen vor Begeisterung: die U-Bahn, was für eine wunderbare Erfindung. Züge unter der Erde. Schranken, die man mit Tickets passieren kann (wenn man es kann). Menschenmassen, die konzentriert und geordnet ihres Weges gehen. Die Muggel-Welt: immer wieder eine Freude für Arthur Weasley.

Seltsame Begeisterung für einen, der im Zaubereiministerium arbeitet. Denn was ist die Londoner U-Bahn gegen die Hochburg der Zaubererverwaltung? Okay, zugegeben, der Zugang ist nicht ganz up to date: Man betritt das Gebäude mittels einer altmodischen Telefonzelle, die als Paternoster fungiert. Aber dann: endlose, prachtvolle Gänge, die an die Anlage der Moskauer U-Bahn erinnern. Ein riesiges Plakat des Zaubereiministers Cornelius Fudge, das wie ein Bild von Stalin, Mao oder Citizen Kane mitten in der Eingangshalle hängt. Anhörungssäle, die wie griechische Theater aufgebaut sind, gefüllt mit ernsten, rot oder schwarz gekleideten Zauberern. Laborähnliche Depots voll geheimnisvoll schimmernder Amphoren und Phiolen. Und im Herz des Ministeriums eine Tür ins Nichts – sie wird noch eine Rolle spielen.

Das Zaubereiministerium ist Schauplatz von Harrys schwersten Prüfungen in „Harry Potter und der Orden des Phönix“, dem 2003 erschienenen fünften Teil der Zaubersaga, der nun am Mittwoch als Film ins Kino kommt. Nicht nur, dass Harry sich wegen unerlaubter Zauberei vor dem Ministerium verantworten muss. Hier findet auch die erste große Schlacht zwischen den Anhängern von Lord Voldemort, den Tod-Essern, und den Anhängern von Albus Dumbledore, dem titelgebenden „Orden des Phönix“, statt. Für diese Schlacht, in der auch Voldemort (Ralph Fiennes) persönlich erscheint, wenden Regisseur David Yates und sein Leiter der visuellen Effekte, Tim Burke, alle Tricks auf. Feuer lodert, Rauch quillt, Wasser stürzt von oben herab, es regnet Asche, Glas und Eis, und damit das Spektakel noch spektakulärer wird, zeigt zumindest das Berliner Sony- Imax-Kino diese Szenen in 3-D.

Umsonst, der Aufwand. Die Stärken dieses fünften Potter-Films liegen woanders, nicht in den Kampfszenen, die kurz und chaotisch verlaufen und der jugendlichen Hauptfigur Harry Ausdrucksformen abverlangen, die Darsteller Daniel Radcliffe nur grimassierend meistert. Dass der Zauberlehrling zwischenzeitlich vom dunklen Lord besessen ist und sich gegen das Böse in seinem Innern nur unter Aufrufung aller glücklichen Gefühle und Erinnerungen wehren kann, ist ein faszinierender Gedanke. Das erfordert allerdings psychologische Einfühlung, über die Radcliffe (noch) nicht verfügt.

So zieht sich Harry, der nun endgültig in der Pubertät angekommen ist, in finstere Einzelgängerei zurück. Das Drama des begabten Kindes, das von seiner Umgebung missachtet wird, wandelt sich in offene Rebellion. Nicht nur, dass sich Harry von Albus Dumbledore, dem bewunderten Schuldirektor, geschnitten und von allen Klassenkameraden der Lügnerei verdächtigt sieht, nicht nur, dass ihm auch noch eine erste Schwärmerei für die aparte Halbchinesin Cho Chang (Katie Leung) dazwischenkommt – auch in der Freundschaft zu Ron (Rupert Grint) und Hermine (wie immer überragend gut: Emma Watson) kriselt es gewaltig.

Mit „Harry Potter und der Orden des Phönix“ hat der Stoff endgültig den Kinderfilm verlassen – und muss sich an der Konkurrenz messen lassen. David Yates, der gemeinsam mit Drehbuchautor Michael Goldenberg den umfangreichen Stoff diesmal auf eine konzise, schlüssige Fassung verdichtet hat, nimmt beherzt Anleihen bei allen Populärmythen der Kinowelt. Es beginnt gleich mit einer James- Bond-artigen Verfolgungsjagd über die Themse, entlang der Houses of Parliament. Harrys Begegnung mit einem Dementor erinnert an japanische Horrorfilme. Die zierliche Hermine gerät wie Naomi Watts in die Hände eines King- Kong-großen Riesenbabys, das sich sofort zutraulich in seinen Fang verliebt. Kreacher, der verräterische Hauself im Haus Grimmauldplatz 12 erinnert in seiner unterdrückten Rebellion an Gollum aus dem Vorbild „Herr der Ringe“. Und auch Sirius Black (Gary Oldman), Harrys zu Unrecht verfolgter Patenonkel, trägt mit seinen wallenden Haaren und dem melancholisch verfinsterten Blick deutlich Züge von Aragorn, dem Helden aus Tolkiens Ring-Parabel.

Die Zeit der Spiele ist für Harry und seine Freunde vorbei. Kein Quidditch- Turnier mehr, keine weiteren aparten magischen Kreaturen, kaum komische Dursley-Szenen, und auch die Schulstunden spielen nur eine höchst untergeordnete Rolle. Stattdessen gerät Hogwarts in die Hände einer finsteren Macht, die das Epizentrum des Films bildet: Dolores Umbridge, Untersekretärin im Zaubereimuseum und rechte Hand von Cornelius Fudge, übernimmt als neue Lehrerin zur Verteidigung gegen die dunklen Künste das Regime. Ein Albtraum in Altrosa: Die britische Schauspielerin Imelda Staunton („Vera Drake“) stattet ihre Figur genüsslich mit dem ganzen Terror der kleinbürgerlichen Spießerin aus. Umbridge, erneut eine ingeniöse Schöpfung wie der eitle Gilderoy Lockhart (Kenneth Branagh), die verträumte Wahrsagerin Sibyll Trelawney (Emma Thompson) oder der friedliche Werwolf Lupin (David Thewlis) ist der Inbegriff der britischen Hausfrau: An der Wand ihres Zimmers sammelt sie Teller mit Katzenmotiven, ihre Garderobe ist ein einziges Fest in Pink, und immer ist in ihrer Stimme ein altmädchenhaftes Kicksen und Kichern.

Doch ihr Regime ist knochenhart und greift mit der Präzision eines Uhrwerks. Dekret um Dekret nagelt der Schuldiener auf ihre Weisung an die Wand, und selbst Albus Dumbledore ist machtlos gegen diese ministerial gedeckte Invasion. Rückkehr zu den traditionellen Werten, zu Zucht und Ordnung, Fleiß und Keuschheit predigt Umbridge und schreckt nicht davor zurück, zur Durchsetzung dieser Sekundärtugenden auch gnadenlos Folter einzusetzen – ein Blinder, wer die Parallele nicht sieht.

Nur die Gegenwehr steht noch nicht recht. Gemeinschaft im Kampf gegen das Böse, lautet das Rezept von Autorin J. K. Rowling, das von Buch zu Buch deutlicher hervortritt. Selbst der Einzelkämpfer Harry erklärt sich schließlich bereit, eine Selbsthilfegruppe namens „Dumbledores Armee“ aufzubauen. Womit Film und Roman endgültig im Kriegsgeschehen angekommen sind, wo mit Todesernst Fragen nach Loyalität, Treue, Familiensinn und der rettenden Macht der Liebe verhandelt werden. Heilige Werte, mindestens ebenso traditionell wie Umbridges Tugendoffensive. Das Ergebnis wird man am 21. Juli mit Erscheinen des letzten Bandes begutachten können, für den der Film jetzt nicht mehr als ein amuse-geule ist. Hoffentlich hat Rowling die Hauptingredienz ihrer Zauberkraft, den wunderbar spielerischen Humor der ersten Bände, dabei nicht ganz im Gewürzregal stehen lassen.

Ab Mittwoch in den Kinos

Christina Tilmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false