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Lulu und Jimi

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Romeo und Julia: Gib Gas, ich will Spaß

Glück ist eine kleine Ewigkeit: Oskar Roehlers märchenhafte Romanze "Lulu und Jimi".

Als sie sich das erste Mal küssen, wölbt sich die tiefblaue Nacht über ihnen und es blinken die Lichter vom Kettenkarrussel und der Schießbude. Aus den Lautsprechern dröhnt eine Rock’n’Roll-Ballade: „Tell me you love me, tell me one more time.“ Lulu ist die Tochter eines bankrotten Fabrikantenehepaars, Jimi verdient sein Geld als Aushilfe beim Autoscooter. Vor allem aber ist er schwarz, und weil wir uns im Jahr 1959 und in einer deutschen Kleinstadt befinden, wird aus der Kirmesromanze schnell ein Romeo-und-Julia-Drama. Sie werden Jimi als „Neger“ beschimpfen, sich mit ihm prügeln und sogar auf ihn schießen, aber jetzt steht er hier und küsst Lulu, das blasse Mädchen mit den großen dunklen Augen, ein Augenblick, der eine kleine Ewigkeit dauert. Der Hass mag noch so groß sein, diese Liebe ist stärker.

Oskar Roehler wollte einen Film über eine „unbedingte Liebe“ drehen. „Lulu und Jimi“ ist sein bislang optimistischstes Werk geworden, auch wenn es auch hier an Psychopathen und Freaks nicht mangelt. „Thank You David L.“, heißt es im Vorspann, ein Dankeschön an David Lynch, bei dessen „Wild at Heart“ sich Roehler bediente. Der Film schwelgt in den Pastellfarben der Petticoats und Plüsch einrichtungen, die Helden schaukeln im offenen Cadillac durch kopfsteinbepflasterte Fachwerkdörfer, aber über allem hängt von Anfang an die Vorahnung eines Verhängnisses.

Die Villa, in der Lulu lebt, ist zugleich ihr Gefängnis. Katrin Sass spielt ihre Mutter wie die böse Märchenhexe, alkoholisiert schwankt sie ins Bild. Ihre Fingernägel sind spitze Krallen, das Gesicht ist geschminkt wie bei einem Stummfilmstar, in tiefstem Bass röhrt sie: „Komm sofort runter, sonst gibt es einen Skandal.“ Mutter lässt sich vom Chauffeur (Udo Kier) betatschen, während der Vater (Rolf Zacher), vormals ein heftiger Womanizer, nach einer missglückten Operation bloß noch im Morgenmantel durch den Garten gespenstert.

Dr. von Oppeln (Hans-Michael Rehberg), ein diabolischer Mediziner wie aus Fassbinders „Veronika Voss“, kümmert sich mit seinen Spritzen auch um Lulu. Er weiß: „Negerbabys wachsen schneller im Mutterleib als normale Babys.“ Bastian Pastewka als Lulus Verehrer scheint in seinem Karoanzug direkt einer Klamotte des Adenauer-Kinos entsprungen zu sein. Seine Hauptdarsteller fand Roehler im Ausland: Jennifer Decker ist Französin, Ray Fearon Brite.

1959, das ist auch das Jahr, in dem der Regisseur geboren wurde. Für ihn sind die fünfziger Jahre die Zeit einer „unerhörten Unschuld“ und „unbändigen Lebensgier“. Naivität und Überschwang. „Woher kommst Du eigentlich?“, fragt Lulu, als sie Jimi kennenlernt. „Aus Amerika“, antwortet er. Sie strahlt: „Ich liebe Amerika.“ Manchmal sind Roehlers Dialoge pures Kabarett. Bevor es auf einer Gartenparty zu einer handfesten Auseinandersetzung kommt, streiten die einheimischen Halbstarken thomasmannhaft mit Jimi über den Unterschied zwischen Zivilisation und Kultur. Zivilisation, das sei der Kühlschrank, Kultur hingegen Shakespeare.

Damit ihre Liebe überleben kann, müssen Lulu und Jimi fliehen. Das Ziel: natürlich Amerika, aber erst einmal der Hamburger Hafen. Es wird eine Odyssee durch Absteigen und Übergangslager, und das Paar wird gejagt von einem Killer. Einmal wachen Lulu und Jimi in einem Wald auf. Direkt vor ihnen äst, wie in einem Melodram von Douglas Sirk, friedlich ein Reh. Glück ist eine flüchtige Erscheinung.

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