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Kino: Rückkehr der Muskelmänner

In Mathieu Kassovitz’ „Babylon A. D.“ soll Vin Diesel die Welt retten – vor religiösen Fanatikern

Muskelbepackte Kampfmaschinen der Baureihe Schwarzenegger, Stallone und Willis laufen schon eine ganze Weile nicht mehr vom Band. Ihre Schrottreife war endgültig besiegelt, als Keanu Reeves in „Matrix“ mit bodenlangem Mantel, schwarzer Sonnenbrille und schickem Mobiltelefon zur Weltrettung schritt – aufgepumpten Bizeps brauchte er nicht. Der moderne Actionheld ist fit, kann mit Computern umgehen und sieht auch im Anzug gut aus. Daniel Craigs James Bond verkörpert diesen Typus momentan wohl am besten.

Vin Diesel („Pitch Black“, „xXx“) sieht im Anzug aus wie ein Vorstadtproll auf der Konfirmation seiner kleinen Schwester. Die Bedienung eines Computers traut man ihm ebenso wenig zu wie ein halbwegs tiefgründiges Gespräch. Seine besten Argumente sind immer noch seine Fäuste und sein breiter Nacken – ganz die alte Machoschule. Er ist der Letzte seiner Art. Und genau deshalb wollte der französische Regisseur und Schauspieler Mathieu Kassovitz („Hass“, „Gothika“) ihn unbedingt als Protagonisten seiner sechsten Regiearbeit.

„Babylon A. D.“ spielt in einer düsteren Zukunft, in der die europäische Zivilisation weitgehend zusammengebrochen zu sein scheint. Jeder ist auf sich gestellt. Muskelkraft hat wieder Konjunktur. Toorop (Vin Diesel) ist ein durchtrainierter, tätowierter Söldner, der in einem völlig verwahrlosten Land namens Neues Serbien lebt. Er nimmt den Auftrag des Gangsterbosses Gorsky (Gérard Depardieu) an, eine junge Frau innerhalb von sechs Tagen aus Russland nach New York zu schmuggeln.

„Ein Auto wird dich abholen“, sagt Gorsky, und Toorop begibt sich zum Treffpunkt. Nach einer Weile fliegt ein Hubschrauber heran – unter ihm baumelt an langen Ketten ein gepanzerter Wagen. Toorop steigt ein, schaltet den Bordfernseher ein und lässt sich zu seinem Einsatzort fliegen. Dies ist eine von vielen spektakulären Sequenzen, mit denen Kassovitz die postapokalyptische Welt seines Films in Szene setzt. Sorgfältig komponierte Tableaus sind die Stärke seines auf dem 600-Seiten-Roman „Babylon Babies“ von Maurice G. Dantec basierenden Werkes. Auch einige der Actionszenen wie etwa die Snowmobil-Verfolgungsjagd oder der Endkampf trumpfen mit tollem Setdesign und beeindruckenden Effekten auf.

Geschichte und Dramaturgie können da leider ganz und gar nicht mithalten. Toorops Schützling ist die engelsgesichtige Aurora (Mélanie Thierry), die als persönlichen Bodyguard eine schlagkräftige Nonne (total unterfordert: Michelle Yeoh) an ihrer Seite hat. Aurora besitzt übernatürliche Fähigkeiten und wird bald von mehreren Parteien gejagt. Dennoch schafft es die Gruppe nach New York, das von einem fanatischen Religionskonzern beherrscht wird. Hier kommen erstmals kräftige Farben ins Spiel – es sind die glitzernden Neonreklamen an den Hochhausfassaden. Das sieht wieder extrem schick aus, doch gleichzeitig verliert der Film völlig seinen Schwung und Rhythmus. Ähnlich ins Holpern gerieten im Schlussviertel auch Kassovitz’ letzte Werke „Die purpurnen Flüsse“ und „Gothika“. Hektisch werden die Handlungsfäden zusammengeflickt, und ziemlich peinlich wirkt die ultraplakative Bibelmetaphorik. So bleibt „Babylon A. D.“ weit hinter den thematisch sehr ähnlich angelegten, aber wesentlich klügeren „Children of Men“ von Alfonso Cuarón zurück. Vin Diesel trifft keine Schuld. In guter alter Kampfmaschinentradition hat er alles gegeben. Nadine Lange

In 21 Berliner Kinos

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