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Alle lieben Nina Hoss. Und sie tut noch nicht einmal viel dafür - nur glänzend spielen.

© dpa

Schauspielerin Nina Hoss: Diva Normal

Alle lieben sie. Nina Hoss ist ein Star. Dabei tut die Schauspielerin fast nichts dafür. Außer glänzend zu sein. Jetzt wieder in dem Wettbewerbsfilm „Gold“.

Nina Hoss lässt sich entschuldigen. „Man wird ja auf der Berlinale leicht krank“, sagt schulterzuckend der Moderator auf der Pressekonferenz zu Thomas Arslans Wettbewerbsfilm „Gold“. Vielleicht, heißt es, sei sie für den Roten Teppich am Abend wieder fit. Ausgerechnet die Hauptdarstellerin, die tragende Kraft dieses deutschen Spätwesterns aus der Goldrauschzeit – sie fehlt.

Die Fragen der Journalisten drehen sich trotzdem um sie. Was hat Frau Hoss bewogen, an diesem Projekt für sieben Schauspieler und elf Pferde teilzunehmen? Wie strapaziös war das Reiten für sie? Regisseur und Drehbuchautor Thomas Arslan beantwortet das alles geduldig. Sofern er das kann. Also, er habe, sagt er, während des Schreibens schon an Hoss gedacht, ihr das Buch geschickt, sie hat zugesagt. So sind sie zusammengekommen. Und das Reiten, tja, das war für alle Beteiligten anstrengend, für Nina Hoss natürlich besonders, sie hatte ja die meisten Drehtage. Aber dank Reitstunden und zunehmender Praxis wurde sie immer sicherer.

Irgendwie seltsam, dieser Fokus auf eine Abwesende.

Aber es passt auch. Nina Hoss. Die Frau, über die man spricht, und sie selbst muss gar nicht viel dafür tun.

Die Berlinale, das ist ihre Bühne. Sie ist quasi Dauergast im Wettbewerb, hat 2007 einen Silbernen Bären als beste Darstellerin in Christian Petzolds „Yella“ gewonnen, saß 2011 in der internationalen Jury, auf Augenhöhe mit einer Isabella Rossellini. Ein Phänomen ist sie. Eine der wenigen deutschen Schauspielerinnen, bei denen man nicht zusammenzuckt, wenn sie Stars genannt werden. Eine, der man jede Rolle abkauft. Ganz gleich, ob auf der Theaterbühne, im Film oder im schlechten Film. Die es schafft, kein Image zu haben, sondern nur Erfolg. Eine, die das Zeug zur Diva hätte, aber keine Allüren braucht und keine Geheimnisse. Das ist das Rätselhafte.

In Thomas Arslans „Gold“, angesiedelt Ende des 19. Jahrhunderts, spielt Hoss eine Frau mit dem Allerweltsnamen Emily Meyer. Die hat sich bislang als Dienstmädchen in Chicago verdingt, jetzt schließt sie sich einem Track von deutschen Hasardeuren an, die von British Columbia aus gen Klondike aufbrechen. Dort soll es Gold geben, das wollen sie schürfen. Ein halsbrecherischer Trip. Emily macht nicht viele Worte. Hat zuvor für einen Dollar am Tag geschuftet, irgendwann geheiratet, war keine gute Zeit. „Mehr gibt es über mich nicht zu wissen“, sagt sie. Und als ein Track-Gefährte nicht ohne Hintergedanken fragt: „Wie kommt es, dass eine Frau wie Sie alleine reist?“, lässt sie ihn abblitzen mit den Worten: „Das ist eben so.“ Vor einer alten Köchin, die in dem schönen Fräulein den potenziellen Unruheherd sieht, macht sie im Vorbeigehen einen koketten Ausfallschritt. Der sitzt wie ein gezielter Schuss.

Nina Hoss spielt die Meyer als verschlossene Zupackerin. Ob es einen umgestürzten Baum aus dem Weg zu räumen oder das Bein eines Mitreisenden aus der Bärenfalle zu befreien gilt, sie fasst mit an und verzieht kaum eine Miene. Nicht mal bei der notwendig werdenden Amputation. Das Gewehr fest umklammert, begegnet sie der schroffen Landschaft mit eben der Härte, die diese für sie bereithält. „Wir lassen niemanden zurück“, lautet ihre Durchhalteparole. Am Ende reitet sie allein und übrig geblieben ihrem Schicksal im gelobten Land entgegen. Genau die Rolle, die im Western sonst Männer spielen.

Dass Hoss das bewältigt, hat natürlich zum einen, ganz banal, mit Talent zu tun. Und, na klar, mit harter Arbeit, ohne die Begabung nichts wert wäre. „Auf den Punkt konzentriert“ sei sie, schwärmt „Gold“-Regisseur Arslan, und bringe gleichzeitig „eine große Offenheit für den Moment mit“.

Die 37-Jährige entstammt einem begnadeten Jahrgang an der renommierten Ernst-Busch- Schauspielschule, sie war vom 1995 bis 1999 in einer Klasse mit Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt, Mark Waschke, Devid Striesow. Alles tolle Schauspieler, alle berühmt geworden. Aber nur Hoss hat auch Glamour.

Und sie beherrscht die Weltenwanderung wie sonst kaum eine Kollegin oder ein Kollege. Parallel Theater und Film, sogar Fernsehen zu machen, ist längst Standard. Kaum spektakulär, dass sie als verarmte Gutsbesitzerin Ranjewskaja in Tschechows „Kirschgarten“ am Deutschen Theater auf der Bühne genau so glänzt wie in den Filmen eines Christian Petzold, zuletzt als innere Emigrantin im DDR-Drama „Barbara“. Aber dass sie Arthouse und Mainstream gleichzeitig zu bedienen weiß das ist keine Selbstverständlichkeit. Wenn es um Kunst und Kommerz geht, klaffen hierzulande noch die Reste der ideologischen Gräben aus den 70er Jahren des Neuen Deutschen Films. Hoss überspringt die locker, indem sie die Diskussion gar erst nicht aufkommen lässt: „Wenn wir uns alle mal ein bisschen beruhigen würden, könnten wir besser zusammenarbeiten“, findet sie. Es seien doch letztlich alle Geschichtenerzähler. Punkt.

Sie hätte es sich auch bequem machen können.

Sie hätte es sich auch bequem machen können als Kinostar, und ihre Karriere begann ja mit dem Eichinger-Film „Das Mädchen Rosemarie“. Kam aber nicht in Frage. Stattdessen hat sie sich im Theater durch den klassischen Literaturkanon gespielt, von der Kammerzofe Franziska in Lessings „Minna von Barnhelm“ bis zur Kindsmörderin Medea in einer klaustrophobischen Inszenierung von Barbara Frey. Mit Christian Petzold hat sie sich zudem einen Stammregisseur fürs Kino gesucht, bei dem es stets „um Inhalte“ geht, wie sie jüngst sagte. Bei dem sie das Gefühl hatte, „weiterzukommen, als Schauspielerin und im Filmverständnis“.

Die Petzold-Rollen sind ihre stärksten. Sei es die alleinerziehende Mutter eines Kindes, das von einem Fahrerflüchtigen getötet wird, die sie in „Wolfsburg“ spielt. Oder die somnambule Todestraumwandlerin, als die sie in „Yella“ durch den Hades einer entseelten Welt aus Hotelfluren und Konferenzzimmern stromert.

Hoss ist wandelbar, natürlich. Aber vor allem ist die die Künstlerin der klugen Dosierung. So, wie sie dieser Tage zwar in einem großen „Zeit“-Gespräch mit den Ex-Kommilitonen Haberlandt, Eidinger und Waschke erscheint, aber keine Einzelinterviews zu „Gold“ gibt. Präsenz, Persönliches, Politisches, bei allem findet sie das richtige Maß. Das ist ein wesentlicher Teil ihres Erfolges.

Zuletzt hat sie meist nur einen Film pro Jahr gedreht. Auf die Big-Budget-Literaturverfilmung „Anonyma – Eine Frau in Berlin“ folgt der psychologische Thriller „Jerichow“ von Petzold; auf den munteren Mainstream-Vampirfilm „Wir sind die Nacht“ das Zeitreise-Drama „Fenster zum Sommer“ von Hendrik Handloegten. Fernsehen? Fehlanzeige.

Man erinnert sich, wie vor vielen Jahren ein deutscher Produzent mit dem „Katja-Riemann-freien Film“ warb und das für eine gute Idee hielt, weil die Dame gefühlt in jeder deutschen Produktion dabei war. Diese Gefahr würde einer Nina Hoss nie drohen, und sie hat, soweit bekannt, auch noch keinen Vertrag als „Tatort“-Kommissarin unterschrieben. Wenn sie, wie während der Berlinale 2011, öffentlich unter Tränen von dem plötzlich verstorbenen Freund und Wegbegleiter Bernd Eichinger Abschied nimmt, wird vor dem Pressegespräch am nächsten Tag die Nachricht reingereicht: Bitte keine Fragen mehr zu Eichinger an Frau Hoss. Genug ist genug.

Sie ist auch eine der wenigen Schauspielerinnen der Roten-Teppich-Liga, die ihr Privatleben konsequent aus den Klatschspalten heraushalten. Nicht, dass Hoss die bunten Blätter boykottieren würde. Sie spricht durchaus mit der „Gala“ über ihren „sexy Vampirfilm“. Aber erteilt dabei eigentlich nur Lehrstunden in professioneller PR. Auf die Frage „Was tun Sie, um abzuschalten?“, vergaloppiert sich ihre Film- und Interviewpartnerin Karoline Herfurth in die seltsame Anekdote, wie sie mal neben ihrem Pflegepferd auf der Weide das Grasen simuliert habe. Hoss sagt: „Also, was mich total entspannt: ich spiele Klavier“. Oder die Frage, ob sie Angst vor dem Altern habe. Sie ist 37. „Ganz ehrlich: damit beschäftige ich mich, wenn es so weit ist.“ Sie spielt das Spiel mit, aber nach ihren Regeln.

Rückblende: ein Treffen mit Nina Hoss in einem italienischen Lokal im Prenzlauer Berg, schon eine Weile her. Es ging in dem Gespräch unter anderem um eine „Emilia Galotti“-Vorstellung am Deutschen Theater, die eine halbe Stunde verspätet beginnen musste, Frau Hoss stehe im Stau, hieß es. Die Stimmung im Foyer war trotzdem heiter, niemand unter den Zuschauern, der ihr das als großen Auftritt ausgelegt hätte. Tatsächlich steckte sie gar nicht im Verkehr fest, wie sie, auf die Geschichte angesprochen, amüsiert verriet. Sie hatte die Vorstellung schlicht vergessen und war gerade im Supermarkt, als sie die Frage aus dem Theater erreichte, wo um Himmels willen sie denn bleibe.

Was man im Laufe dieser Begegnung auch von ihr erfahren konnte: dass sie Atheistin ist, aber in fremden Ländern immer zuerst in die Kirche geht, weil es ihr so viel über die Menschen erzählt. Dass ihr die Grünen, die ihr Vater Willi Hoss mitgegründet hat, zwar als Partei am nächsten stehen. Aber sie für die zermürbenden Mühlen des Politikbetriebs selbst nicht die Geduld aufbrächte. Dass sie sich nicht als düsteren oder melancholischen Menschen sieht, obwohl sie mal in einem Interview von den Freuden der Dostojewski-Lektüre auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee schwärmte.

Hoss ist ja keine Unnahbare, Unberührbare. Aber sie kennt die viel beschworene Grenze zwischen Persönlichem und Privatem. Was in Zeiten der besinnungslosen Selbstvermarktung ein großes Kompliment ist. Nichts ist selbst für größte Hollywoodstars ein zuverlässigerer Karrierekiller als das Hausieren mit religiösen oder politischen Überzeugungen, ganz zu schweigen von ekstatischen Liebesbekundungen auf dem Talksofa. Da muss man sich bloß mal Tom Cruise ansehen („He jumped the couch“).

Hoss hingegen weiß, wo Haltung gefragt ist, und wo Zurückhaltung. Sie engagiert sich ja. Gegen weibliche Genitalverstümmlung, für den Erhalt des Regenwaldes. Als sie in der Berlinale-Jury saß, ließ sie keine Gelegenheit aus, den Mut des mit Berufs- und Ausreiseverbot belegten iranischen Regisseurs Jafar Panahi zu preisen, der einen Offenen Brief an das Festival geschickt hatte. Und als im vergangenen Jahr in Berlin der Konflikt um den angeblich zu teuren Neubau der Ernst-Busch-Schule tobte, reihte sich Hoss in Phalanx der demonstrierenden Studenten ein und las in Interviews den Kulturverantwortlichen die Leviten: „Die Hochschule steht symbolisch dafür, wie hier Stadtpolitik gemacht wird. Die Politiker sollen doch bitte mal erklären, ob Ihnen eine Autobahn wichtiger ist oder der Nachwuchs.“

Deutliche Worte. Aber sie schießen auch nicht übers Ziel hinaus. Die Extreme, die spart Hoss sich für die Kunst auf. Als Ibsens vom Leben angeödete Pistolen-Braut Hedda Gabler. Oder auf der Leinwand als zu allem entschlossene Goldsucherin, die aufrecht bleibt, während um sie herum alle an der eigenen Gier irre werden oder zugrunde gehen.

Selbst wenn Hoss’ Figuren an die Grenze gehen, verlieren sie fast nie die Selbstbeherrschung. Emily Meyer behält einen kühlen Kopf. Es sind die Besonnenen, die Größe haben.

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