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Armin Müller-Stahl

© ddp

Thomas-Mann-Verfilmung: Wie modern sind die Buddenbrooks?

Heute feiert die Verfilmung des Thomas Mann Romans „Die Buddenbrooks“ von Heinrich Breloer Premiere. Ab 25. Dezember ist der Film dann im Kino zu sehen. Wie zeitgemäß ist dieser Roman noch?

Große Sorgen, dass seine am ersten Weihnachtstag in den Kinos anlaufende „Buddenbrooks“-Verfilmung ein veritabler ökonomischer Flop werden könnte, muss sich Heinrich Breloer nicht machen. Das liegt zum einen daran, dass Thomas Manns Roman „Buddenbrooks“ auch weit über hundert Jahre nach seinem Erscheinen weiterhin ein Selbstläufer ist: das frühe Großwerk eines späteren Großschriftstellers; der vielleicht allgemeingültigste deutsche Roman des vergangenen Jahrhunderts, auf dessen Grunde sich genauso überlebte wie er haltene wie immer mal wieder ersehnte Traditionen und Werte spiegeln.

Das liegt paradoxerweise aber auch daran, dass Breloers Film gerade jetzt, in einer Zeit des finanziellen Niedergangs, einer sich abzeichnenden brutalen Rezession, in die Kinos kommt. Denn der „Verfall einer Familie“, wie Manns Roman im Untertitel heißt, steht ja in direktem Zusammenhang mit dem Verfall der Firma Buddenbrook, mit dem Niedergang eines mittelständischen Traditionsunternehmens. Umso kaputter die Wirtschaft, desto größer auch die Zerstörung menschlicher Bande? Es ist verführerisch, das Schicksal der deutschen Wirtschaft und auch gleich das der Weltwirtschaft mit dem Schicksal der Familie und der Firma Buddenbrook gleichzusetzen. Was liegt näher, als unsere Gegenwart als Dekadenzphänomen zu deuten. Als die „dekadenten“ Identitätskrisen der Geschwister Thomas, Christian und Tony Buddenbrook, das Feinnervige, Hochsensible und Lebensunfähige des allerletzten Buddenbrook-Abkömmlings Hanno als Ausdruck unserer Superindividualisierung zu deuten? Und diese vielleicht auch als einen Ausdruck dafür zu sehen, dass wir den passiven Genuss allzu sehr zu unserer Lebensform gemacht haben? So sehr, dass wir nicht einmal stutzig werden, wenn die Ausgabe von Konsumgutscheinen die Konjunktur wieder ankurbeln soll – bei allem Freiheitsdrang, allem Freiheitsanspruch haben wir nicht einmal mehr die Freiheit, nicht zu konsumieren. Ja, und ist so was nicht der Verfall einer ganzen Kultur?

Man kann also gerade in diesen Tagen viel Zeitgemäßes in Manns Roman wiederfinden. Doch es gibt dann wieder in den „Buddenbrooks“ auch die Hagenströms, die parallel zum Abstieg der Buddenbrooks ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg vollziehen: „Hermann Hagenström, in einem fußlangen, dicken und schweren Pelze, der vorne offen stand und einen grüngelben, faserigen und durablen englischen Winteranzug sehen ließ, war eine großstädtische Figur, ein imposanter Börsentypus“, so zeichnet Thomas Mann den Konsul Hagenström, als dieser sich anheischig macht, auch noch das altehrwürdige Buddenbrook-Haus zu kaufen. Die Hagenströms passen natürlich nicht so recht in die aktuelle Erzählung vom Niedergang aller Wirtschaftszweige, seien es nun Banken, Traditionsunternehmen oder Internetfirmen. Sie repräsentieren eher den Typus von Wirtschaftsmagnaten, die die aktuelle Finanzkrise ja erst eingeläutet haben. Und auch ihre Kinder und Kindeskinder sind etwa das genaue Gegenteil des weichen und kränklichen Hannos, „Musterschüler, ehrgeizig, devot, still und bienenfleißig, bebend aufmerksam und beinahe verzehrt von der Begier, stets primus zu sein und das Zeugnis Numero eins zu erhalten“. Aufsteiger, Sozialaufsteiger, von keiner Dekadenz angekränkelt. Schon bei der Niederschrift der „Buddenbrooks“ in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts erschien Thomas Mann das wahre Bürgertum als eine Kategorie der Vergangenheit. In seinem Roman ist es allein Johann Buddenbrook, der lebensfroh, umfassend humanistisch gebildet und voll sprühendem Unternehmergeist das Bürgertum ungebrochen repräsentiert. An allen Generationen danach nagt der Zweifel immer mehr, von Generation zu Generation aber verfeinern sie sich auch, mit all ihren Widersprüchen. Und wenn Thomas Buddenbrook über sein Wesen räsoniert: „In ihm war es leer, und er sah keinen anregenden Plan und keine fesselnde Arbeit, der er sich mit Freude und Befriedigung hätte hingeben können“, dann findet sich hier so manche talentierte nachfolgende Generation bis zu den Slackern der neunziger und nuller Jahre wieder.

Vermutlich gibt es zwei Gründe für die zeitgemäße Robustheit des „Buddenbrooks“-Romans. Zum einen übt es einen faszinierenden Schauder aus, zu erleben, wie eine bürgerliche Familie zerfällt, einmal mehr zu erfahren, wie alles wurde, was es jetzt ist: vom individuellen Freiheitsdrang über Pisa-Schocks bis zur mal mehr, mal weniger gut organisierten, mal mehr, mal weniger psychisch stabilen Patchwork familie. Zum anderen gibt es ja immer wieder die Sehnsucht nach einer neuen Bürgerlichkeit, auch als Schutzwall gegen alle Zumutungen der Globalisierung.

Oder auch als Schutzwall gegen den Sozialismus, wie es Uwe Tellkamp in seinem höchst erfolgreichen Großroman „Der Turm“ beschrieben hat. Auch Tellkamp ist fasziniert vom Bürgertum, das beweisen seine Tableaus, seine an Mann orientierten Manierismen. Andererseits ist auch sein Roman ein bürgerlicher Zerfallsroman. Mit dem Sozialismus ist auch das von ihm porträtierte, bis ins Mark verfeinerte Bürgertum erledigt.

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