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Hübsch und sonderbar. Gärtner Daniel (Ken Duken).

© AV Visionen

Thriller: Distanzierter Horror: Menschenseelenallein

Stiller Killer, schrille Liebe: In Thomas Siebens "Distanz" greift ein Gärtner zur Waffe. Der Soziopath weckt Interesse – wie überhaupt der mutige, ambitionierte und dem Independent-Kino verpflichtete Film.

In Albert Camus „Der Fremde“ kann man nachlesen, wie einer einen anderen tötet, nur weil ihn die Sonne zu sehr blendet. Doch wenn der Protagonist in Thomas Siebens Erstlingsfilm in den Park geht, um Jogger zu erschießen, weist dieser Akt willkürlichen Tötens über die Philosophie des Absurden hinaus: „Distanz" ist das Porträt eines Menschen mit Persönlichkeitsstörung.

Der Gärtner Daniel Bauer (Ken Duken) ist hübsch, sonderbar, still. Die Kamera filmt ihn meist von hinten, folgt ihm von der Arbeit in sein einsames Zuhause, beobachtet, wie er zufällig an eine Waffe kommt und sie, nachdem er bereits einen tödlichen Unfall verursachte, schließlich auch benutzt. Danach verrichtet er anscheinend emotionslos sein Tageswerk.

Keiner kann diesen verschlossenen Menschen knacken – nicht mal Arbeitskollegin Jana, die hartnäckig mit ihm flirtet, hinter seiner unergründlich abweisenden Art enorm viel Leidenschaft vermutet, ihn endlich gar ins Bett und in eine Art Beziehung bugsiert. „Kann die Liebe ihn retten?“, fragt das Filmplakat dramatischer als der Film selbst. Sieben vermeidet das Drama, er will beschreiben, ohne Lösungsansätze zu zeigen. Bauers Mordlust, seinen privaten Horror inszeniert er genauso vorsichtig und distanziert wie seine seltenen aufgehellten Momente, mit zurückhaltender Kamera, spärlicher Musik, sperrigem Wechsel von Nahaufnahmen und Totalen.

Manchmal wirkt dabei der Zwischenraum, den der Regisseur zwischen Zuschauer und negativem Helden aufbaut, allzu gewollt. Oder wenn Duken, insgesamt zwar zurückhaltend, manchmal doch zu viel macht und durch sein niedliches Gute-Laune-Gesicht vom makabren Plot ablenkt. Dafür kann er freilich nichts: Niemand kann einem schließlich vorschreiben, wie schizoide Menschen auszusehen haben.

Aber im Gegensatz zu den anderen Soziopathen der Filmgeschichte, Henry aus „Portrait of a Serial Killer“, Travis aus „Taxi Driver“ und natürlich Hannibal Lector bleibt Daniel Bauer, der stille Killer, durch die titelgebende Distanz denn doch zu weit weg. Er weckt Interesse – wie überhaupt der mutige, ambitionierte und dem Independent-Kino verpflichtete Film. Doch im Rätseln darüber, was dahintersteckt, wo Bauers Problem denn nun wirklich liegt, im Auswerten der extrem kargen Information über den Antihelden, geht die Neugier irgendwann ein bisschen flöten.

Das Ende, das auch nicht mit viel mehr Erkenntnis aufwartet als der Anfang, ist konsequent und angenehm antididaktisch. Allein: Ohne Erkenntnisgewinn bleiben Geschichten, so absurd sie auch sind, an der Oberfläche hängen. Und Siebens Protagonist hätte es denn doch verdient, dass man sich ein wenig mehr mit ihm beschäftigt.

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