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Mein Sohn soll ein Mörder sein? Hye-ja (Kim Hye-ja) will die Ermittlungen keineswegs der Polizei überlassen.

© MFA Verleih

Thriller: Miss Marple alias Mutter Courage

Ein wenig Hitchcock und ein wenig Almodóvar. Faszinierender Genre-Mix aus Korea: "Mother" – der elegische Thriller von Bong Joon-ho.

Seit vielen Jahren lebt die Witwe schon allein mit ihrem unbeholfenen Sohn. Hye-ja (Kim Hye-ja) betreibt einen Laden für Kräuter und Blumen, in der Tasche ihres Kleids trägt sie eine Blechschachtel mit Nadeln. Mit heimlicher Akupunktur verdient sie sich ein bisschen was dazu. Ängstlich und streng kümmert sie sich um ihren geistig zurückgebliebenen Sohn Do-Jun, das einzige Kind (Won Bin). Zwei Außenseiter in einer Kleinstadt in Südkorea.

Als eines Morgens die Leiche eines Mädchens gefunden wird, auf dem Dach eines Hauses, sichtbar für die ganze Stadt, wird Do-jun verhaftet. Doch die Polizisten haben nicht mit der Hartnäckigkeit seiner Mutter gerechnet: Auf eigene Faust fängt sie an zu ermitteln. Dabei treten allerdings auch Dinge zutage, von denen sie lieber nichts gewusst hätte.

Mit Monstern kennt er sich aus, der Filmemacher Bong Joon-ho. Vor vier Jahren wurde sein Monsterkatastrophenfilm „The Host“ zum erfolgreichsten koreanischen Film aller Zeiten. Zuvor hatte er mit „Memories of Murder“ das Serienkiller-Genre adaptiert: ein dunkler Polizei-Thriller über unbegabte Ermittler, deren Ermittlungsmethoden mit jeder neuen Leiche noch ein wenig kruder werden. Nun also: das Muttermonster.

Bongs Figuren sind häufig schlichten Gemüts. Er wirft erwachsene Kinder und kindgebliebene Erwachsene in Szenen, die man schon dutzendfach hat über sich ergehen lassen. Mord im Dorf, Monster in der Stadt – viele Klischees dieser Szenerien lassen sich mit dummen Helden leicht umgehen. Wenn der Verdächtige oder der Täter (oder beide) gar nicht verstehen, was getan wurde, lässt sich mancher Thriller-Routine noch eine Überraschung abgewinnen.

Do-jun etwa ist keineswegs sympathisch. Zurückgeblieben wie ein Kind, aber nicht niedlich oder liebenswert, sondern verstockt und manchmal unberechenbar. Das lässt die Liebe seiner Mutter noch bedingungsloser erscheinen. Auf sich alleine gestellt, kämpft sie an allen Fronten: verteilt Handzettel und Geschenke, forscht die Familie des Opfers aus, sichert Beweise und befragt Zeugen, findet einen Golfschläger, der dann aber doch mit Lippenstift statt Blut markiert ist, heuert und feuert einen Anwalt und einen Schläger – und wenn sie Pause hat, besucht sie ihren Sohn im Gefängnis und versucht, seine Erinnerung an jenen schlimmen Abend aufzufrischen. Aber auch das bringt Dinge ans Licht, die sie lieber vergessen hätte. Hye-ja bringt Opfer. Aber sind sie verdient?

„Was findet sie nur an ihm?“, fragt einmal Jin-tae (Gu Jin), Do-Juns einziger Freund, der ihn genauso oft ausnutzt, wie er ihm zur Hilfe eilt. Den festen Banden zwischen Mutter und Sohn liegt ein Geheimnis zugrunde. Doch wie weit kann eine Mutter gehen, um das einzige Kind aus den Händen lustloser Polizisten zu befreien? „Mother“ ist Psychothriller und Familiendrama. Und es ist eine gegen Ende fast archaische Dorfgeschichte: die Hexe und der Dorftrottel gegen alle anderen.

Bong gehört zu einer bemerkenswerten Generation koreanischer Regisseure: eine kleine Gruppe von Autorenfilmern, geboren in den Sechzigern, die sich lustvoll die verschiedensten Genres aneignen und damit sogar ein großes Publikum erreichen. Die Filme von Bong Joon-Ho, Kim Ji-woon oder Park Chan-Wook finden ihren Weg nicht nur zu den Festivals, sondern auch in die Kinos außerhalb von Südkorea. Sie verwandeln und befruchten die Genres, die sie an sich reißen, sei es Geisterhorror („Tale Of Two Sisters“), Gangster-Thriller („A Bittersweet Life“), Monsterkatastrophe („The Host“), Vampirfilm („Thirst“) oder gar Western-Epos („The Good, the Bad and the Weird“). Sie mischen Thriller, Humor und Drama, zitieren aus der Filmgeschichte und haben doch fast immer auch etwas über das Korea unserer Tage zu sagen.

Unter diesen vielseitigen Regisseuren ist Bong Joon-Ho vielleicht der vielseitigste. Geschickt spielt er mit den Erwartungen des Zuschauers, legt Spuren, lässt Stimmungen einsinken, gibt ein wenig Hitchcock und ein wenig Almodóvar. Vieles lässt er im Ungefähren: Nie hat man das Gefühl, diese beiden Menschen, ihre Beziehung zueinander wirklich zu verstehen. Später erfährt man mehr, doch der Film behält seinen leicht unheimlichen, beunruhigend ruhigen Tonfall bei. Es gibt keine erleichternde Auflösung. Für den Mord nicht, und auch nicht für das Beziehungsgeflecht. Es gibt allerdings diesen einen Meridian-Punkt: Oberschenkel Innenseite, 15 cm nach oben, zehneinhalb nach rechts. Wenn man da die Nadel richtig setzt, verfliegen alle schrecklichen Gedanken. Und das Herz wird leicht.

Die Kriminalgeschichte in „Mother“ ist makellos aufgesetzt, zudem gelingen dem Regisseur auch in seinem vierten Spielfilm wieder exquisite Bilder. Szenen wie der herrliche Anfang, wenn die Mutter langsam übers Feld schreitet, umständlich zu tanzen beginnt, dabei die Kamera nach oben fährt und sich dabei ein wenig nach innen dreht – solche Kompositionen, und es gibt etliche davon, bleiben im Gedächtnis haften.

Doch das wäre nichts ohne die außergewöhnliche Hauptdarstellerin. Kim Hye-ja, ein TV-Star in Korea, gewinnt ihrer Rolle erstaunlich viele Facetten ab, oft sogar gleichzeitig. Die Beziehung zum Sohn mit all ihren Nuancen macht sie erlebbar und geheimnisvoll zugleich. Sie treibt den Film voran, ist zartfühlend und unnachgiebig, liebenswert und schrecklich, Miss Marple, Furie und Mutter Courage. Ein Muttertier zum Lieben und Fürchten.

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