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Fürs Leben lernen? Nur nebenbei. Tom Tykwer winkt aus Venedig.

© AFP

Tom Tykwers neuer Film: Ein flotter Dreier sieht anders aus

Leider nur eine Serie von abgehäkelten Situationen: Tom Tykwer stellt seinen neuen Film „Drei“ beim Filmfest Venedig vor.

Die erste gute Nachricht: Tom Tykwer, lange in Diensten der großen Studios, ist heimgekehrt, mit einem deutschsprachigen Film nach eigenem Drehbuch. Die zweite: Er ist damit im Wettbewerb von Venedig gelandet. Die dritte ist der originelle Plot: „Drei“ erzählt von einem Hetero-Paar, das sich ohne Wissen des Partners in denselben Mann verliebt. Und nun die schlechte Nachricht: Ein flotter Dreier sieht anders aus.

Nicht, dass sich irgendwer in die mattgoldenen Zeiten der deutschen Beziehungskomödie zurückwünscht; eine solche wäre vom Grübler Tykwer ohnehin nicht zu erwarten gewesen. Tatsächlich mixt er Komödie, Tragödie, Romanze, Groteske und Generationenporträt großstädtischer Mittvierziger mit einem diffus ganzheitlichen Volksbildungsimpuls. Woran die kleine, am vorletzten Tag der Filmfestspiele Venedig eher lau aufgenommene Geschichte bereits schwer zu tragen hat. Vor allem aber ist dieser Dreier schon deshalb nicht flott, weil er so unendlich langsam vor sich geht.

Also: Die „Kulturgut“-Fernsehmoderatorin Hanna (Sophie Rois) und der Kunstbaubetriebsleiter Simon (Sebastian Schipper) leben seit 20 Jahren so unverheiratet wie kinderlos wie vollinhaltlich verwohnt in Berlin zusammen. Da stirbt Simons Mutter (Angela Winkler) ruckzuck an Bauchspeicheldrüsenkrebs, und Simon selbst muss sich, ruckzuck und schnippschnapp, einer Hodenkrebsoperation unterziehen. Hanna verliebt sich derweil bei einem Kongress in den Stammzellenforscher Adam (Devid Striesow). Womit die erste Hälfte des Zweistundenfilms erschöpfend wiedergegeben wäre.

Zwecks Reha begibt sich der nunmehr einhodige Simon aufs Spree-Badeschiff und nimmt, wie Badegast Adam ihm nach einer ersten Masturbationsbehilflichkeit nahel egt, „Abschied vom deterministischen Biologieverständnis“. Will heißen: Alle Menschen sind bi. Simon weiß davon nur neuerdings und Adam, der anderswo noch Exfrau und Sohn hat, schon länger. Pünktlich eine Viertelstunde vor Filmschluss kommt es zur Konfrontation: Hanna überrascht Simon bei Adam – und ist auch noch schwanger.

Situationskomik? Nur dieses Mal. Sonst bloß eine Serie von – auch mal per Splitscreen – abgehäkelten Situationen. Figurenentwickung? Am ehesten noch bei Simon zu ahnen. Womit füllt Tykwer dann seinen Film? Mit der minder erheblichen Elaboration der beruflichen Hintergründe aller Beteiligten und vor allem mit Bildungsgut: Tanztheater, Robert Wilson, Hermann Hesse, dazu umfängliche Vorträge zur Embryonenforschung. Ja, man lernt allerhand in „Drei“. Ein bisschen spät und sehr nebenbei auch fürs Leben.

Der Dreier selbst gerät dann, zum Abspann, elegisch-harmonisch. Nur für Angela Winkler als Simons Mama kommt die schöne neue Zeit zu spät. Zum Trost ist sie als proper ausgeweidetes Muskel-Monster, hokuspokus einszweidrei, in die ewigen Jagdgründe des Gunther von Hagens eingegangen. Jan Schulz-Ojala

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