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Wir sagen Du! Schatz.

© Zorro Film

Tragikomödie: Die Armseligen

Marc Meyers "Wir sagen Du! Schatz." feiert einen kuriosen Träumer.

Zwangsgemeinschaften haben ihre Vorzüge. Die Familie zum Beispiel: Ihre Aufmerksamkeit muss nicht erst verdient werden, und zugleich erträgt sie nahezu alles, was man ihr zumutet. Andererseits will sie auch – leider, leider – selbst ertragen sein. Sie wird einfach zugeteilt, von der Natur, von Gott, vom Schicksal, wer weiß das schon genau. Geradezu sozialistische Prinzipien sind das.

Warum da die Zuteilung nicht einmal selbst in die Hand nehmen? Eines Abends kurz vor Weihnachten entführt sich Oliver Eckstein (36) eine Familie. Lange hat er observiert und dann sorgfältig ausgewählt: Sofia, die Gattin seines Chefs (Nina Kronjäger), Edna aus dem Seniorenheim (Margot Nagel), Ennio vom Spielplatz (Ennio Incannova), Mätzchen aus der Babyklappe. Hausbesetzerin Maya (Anna Maria Mühe) kommt nur zufällig mit, und Opa (Harald Warmbrunn) sitzt ahnungslos schon vor Ort: letzter Bewohner eines Plattenbaus. Hier, im 18. Stock, schenkt Oliver seiner Familie ein neues Heim. Vermauert, versiegelt, mit Sprengstoff gesichert.

Olivers Sippenhäftlinge sind einander ausgeliefert wie im Soziallabor. Als launische und ängstliche Stadt-Egozentriker müssen sie das Familienspiel von neuem beginnen. Wer querschießt, bekommt kein Essen. Ist Glück ohne Freiheit möglich? „Wir spielen einfach mit“, sagt Sofia, nachdem ihr Vorschlag, den Mann einfach aus dem Fenster zu werfen, vorerst abgeschmettert wurde. „Und wenn er uns vertraut, dann fällt die Mauer.“

Die schöne Idee, die Marc Meyer seinem Debütfilm zugrunde legt, ist nicht mal so unrealistisch – man denke nur an Natascha Kampusch, der letztes Jahr die Flucht aus der Zwangsfamilie gelang. „Wir sagen Du, Schatz!“ aber ist kein Psychopathenthriller, sondern die Tragikomödie über einen Träumer: Wie Don Quixote formt er sich die Welt nach Bildern, die er nur aus Büchern kennt; naiv entschlossen stemmt er sich gegen das Alleinsein und verzweifelt auch nicht, wenn die Sache aus dem Ruder läuft. Die ironisch tänzelnde Körpersprache des Volksbühnen-Akteurs Samuel Finzi mag für einen Verzweifelten am unteren Ende der sozialen Skala etwas zu geschmeidig sein. Doch verleiht sie seiner Figur exakt jene leichtfüßige Melancholie, die die Komik der Situation mit der Tragik seines Daseins verbindet.

Der Film mag zwar manchmal ein wenig durchhängen, und auch die Schlusspointe nimmt ihm mehr, als sie ihm gibt. Der Dialogwitz Marc Meyers und die Selbstverständlichkeit aber, mit der ihm der Übergang ins leicht Surreale gelingt, wiegen das locker auf. Ein Plädoyer für die Familie? Zumindest die Erinnerung daran, wie mühevoll die Suche nach Zugehörigkeit geworden ist – und dass man sogar in Zwangsgemeinschaften noch fündig werden kann. Sebastian Handke

Babylon Kreuzberg, FT Friedrichshain, Kant, Kulturbrauerei

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