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Veit Harlan: Die Schwere der Schuld

"Im Schatten von Jud Süß": ein Dokumentarfilm über den NS-Filmer Veit Harlan und seine Familie. Die Enkel gehen unterschiedlich mit der Geschichte ihrer Familie um.

Chester sieht die Sache entspannt. Er sitzt auf Capri in der Sonne am Meer, erzählt von seinem kleinen Sohn, von seiner Jazzband. Und ist auch am Grab des Großvaters nicht übermäßig berührt. Ja, natürlich setze er sich mit dessen Schicksal auseinander, aber eher intellektuell als emotional. Schuld? Eine Familienfrage, kein Lebensthema. Chester hat sich freigeschwommen.

Alice lebt in Paris, als Physiotherapeutin. Sie hat ihren Großvater nicht gekannt, doch als eine Lehrerin sie in der Schule fragte, ob sie mit dem Veit Harlan verwandt sei, hat sie das abgestritten und ist weinend aus der Klasse gelaufen. Sie wollte nicht die „dreckige Deutsche“ sein. Heute will sie es wissen. „Wenn mich meine Kinder einmal fragen, dann will ich ihnen Antwort geben können.“

Die Schwestern Lotte, Nele und Lena haben erst vor kurzem „Jud Süß“ gesehen, den Film, von dem ihre Großmutter Kristina Söderbaum sagte, dass er ihr Leben zerstört habe – und waren enttäuscht. Verstehen die Aufregung nicht, die um den Film gemacht wird. „Ich habe mir den viel, viel schlimmer vorgestellt“, sagt Lena: „Ich habe immer gedacht: Ein Film, der verboten wird, muss ganz extrem irgendwie sein.“ Stattdessen sah sie nur chargierende Schauspieler.

Drei Enkel, drei Lebenswege. Sie alle haben, irgendwie, ihren Frieden gemacht. Mit dem Namen, mit dem Großvater, mit dessen Verstrickung in die NS-Propagandamaschine, die er nicht nur mit „Jud Süß“ perfekt bediente. Es ist der Blick der Nachgeborenen: Neugier ist an die Stelle von persönlicher Verletzung getreten, Distanz an die Stelle von Schuld- und Schamgefühl. Nur Cousine Jessica bleibt in der Bewertung hart: „Ich glaube, dass Veit Harlan sehr wohl mit der jüdischen Kultur und Religion ein massives Problem hatte.“ Trotz jüdischer Frau – die Schauspielerin Dora Gerson –, von der er sich nach kurzer Ehe trennte, trotz jüdischer Freunde. Jessica ist auch die Einzige, die den Riss durch die Familie hautnah spürte: Die jüdischen Großeltern Arthur Jacoby und Frau starben in Minsk durch Nazihand, der andere Großvater drehte den Film dazu. „Auf den einen ist immer viel Licht gefallen, der andere ist in der Dunkelheit verschwunden.“

Erinnerungsarbeit als Familiengeschichte: Der Filmhistoriker Felix Moeller hat schon an Filmen oder Büchern über Goebbels, Leni Riefenstahl, Marlene Dietrich und Hildegard Knef mitgewirkt. Für seinen Dokumentarfilm „Harlan – im Schatten von Jud Süß“ hat er nicht weniger als zwölf Mitglieder der Familie Harlan vor der Kamera befragt, darunter auch die Kubrick-Ehefrau Christiane. Herausgekommen ist ein psychologisches Meisterwerk, ein Lehrstück in Sachen Vergangenheitsbewältigung. Es ist eben nicht noch ein Film über einen Mitläufer und Opportunisten geworden, wie es Harlan, ebenso wie Leni Riefenstahl, Wilhelm Furtwängler oder Gustaf Gründgens, sicher war. Sondern ein sensibles Familienporträt, das sich mit Verarbeitung und Verdrängung, Entschuldigung, Abrechnung und Distanz befasst. Trotz allen historischen Materials ist es ein sehr heutiger, ein sehr aktueller Film. Vielleicht einer, der seiner Ästhetik nach eher ins Fernsehen als ins Kino gehört. Aber definitiv einer, dem man eine Ausstrahlung zur Hauptsendezeit wünscht – und viele, viele Zuschauer.

Es ist vor allem die Kindergeneration der Harlan-Familie, die mit dem Bild des Vaters hadert, die nicht wissen will, doch wissen muss, und in der jeder auf seine Weise einen Weg der Wiedergutmachung sucht. Da ist Caspar, der Sohn von Veit Harlan und dessen dritter Frau und Hauptprotagonistin Kristina Söderbaum, der mit dem Vater nie über seine Schuld gesprochen hat, sich aber in den Gorleben-Demonstrationen engagiert. Seine Lehre aus der Geschichte ist: „Man muss sich rechtzeitig wehren.“ Seine Halbschwester Maria Körber, Tochter aus Harlans zweiter Ehe mit der Schauspielerin Hilde Körber, hat erst mit siebzig den Film „Jud Süß“ gesehen und war entsetzt: „Ich wäre am liebsten rausgelaufen und hätte gekotzt.“ Und hat trotzdem damit gehadert, dass ihre Agenten ihr nach dem Krieg geraten hätten, doch besser den Namen Harlan gegen den Mädchennamen ihrer Mutter, Körber, zu tauschen: „Es kam mir wie ein Verrat vor.“ Wie auch ihre Schwester Susanne, die ebenfalls unter dem Namen Körber Schauspielerin wurde, heiratete sie bewusst einen jüdischen Kollegen. Eine Art Wiedergutmachung, die in beiden Fällen nicht gut ging. Susanne, die Mutter von Jessica, nahm sich 1989 das Leben.

Doch der tragische Fall der Familie ist Veit Harlans ältester Sohn Thomas. Der Lieblingssohn, der Hoffnungsträger, der früh mit dem Vater auf Filmsets geht und später selbst Filmregisseur wird, er hat den konsequenten Bruch mit dem Vater gewählt. „Jud Süß“ war ein „Mordinstrument“, urteilt Thomas heute. Und nicht, ob der Vater Antisemit war, ist für ihn das eigentliche Thema, sondern „dass der Nicht-Antisemit der beste Wetzer des Messers war“. Und dass Harlan nach dem Krieg, als er längst hätte erkennen können, wozu seine Filme beitrugen, einfach weitergemacht hat. Mit der Behauptung, er sei von den Nazis nur benutzt worden. Und mit Filmen, die die Ästhetik der Dreißigerjahre nahtlos in die Fünfziger hinüberretten. Dass er, „als er es verstanden hat oder hätte verstehen können, immer noch nicht gemerkt hat, dass man in dem Beruf dann vielleicht doch nicht weitermachen darf“.

Thomas Harlan wählt seine Form der Sühne, arbeitet als Nazi-Jäger, recherchiert über die Vernichtungslager Kulmhof, Sobibór, Belzec und Treblinka, lebt in Italien und Chile, schreibt Romane, Theaterstücke, Drehbücher. Noch immer ist er, der schwer lungenkrank in einem Sanatorium bei Berchtesgaden lebt, mit seinem Lebensthema nicht am Ende. Zwar hat er sich, auf dessen Totenbett, mit seinem Vater versöhnt. Doch mit ihm selbst, dem Vaterkritiker, ist die Familie noch lange nicht versöhnt, hadert noch heute mit seiner Rigorosität, seiner Haltung. „Es ist, auch mit 79, noch immer eine offene Wunde, ein Trauma“, sagt seine Tochter Alice über ihn. Und seine Nichte Jessica urteilt über die familieninternen Verwerfungen: „Thomas’ Leistung wird immer noch unterschätzt“.

Eine Familie, die für viele steht. Man denke an die Speer-Kinder, die Heinrich Breloer vor Jahren für seine TV-Dokumentation befragte. Oder an Malte Ludin, der die Abrechnung mit seinem Vater ebenfalls zum Lebensthema machte und mit dem ebenso schmerzhaften Film „2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“ auf eine historische Identitätssuche ging. Ja, noch bis zu Tilman Jens’ jüngsten Vorwürfen gegen seinen Vater, der die Demenz-Krankheit aus Ausflucht gegen eine verschwiegene Parteimitgliedschaft gewählt habe, reicht der Bogen der traumatischen Vater-Sohn-Beziehungen. Die Familie Harlan ist, im Großen und Ganzen, mit ihrer Hypothek vernünftig und verantwortungsvoll umgegangen. Losgeworden ist sie sie nicht.

Der Film kommt Donnerstag ins Kino.

Christina Tilmann

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