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Kultur: Kinokiller

Verloren in Psycho: Der schottische Videokünstler Douglas Gordon im Kunstmuseum Wolfsburg

Noch nie ist die große, quadratische Halle des Kunstmuseums Wolfsburg so verwirrend unübersichtlich erschienen. Komplett abgedunkelt, nur spärlich von flackernden Videoprojektionen erhellt, erscheint sie als riesige Black Box, durch die der Besucher als orientierungsloser Schemen tappt. Immer wieder öffnen sich weitere Portale, durch die noch mehr Projektionen, Räume und Besucher erahnt werden. Erst bei der ersten schmerzhaften Körperkonfrontation mit hartem Glas stellt sich heraus: Es sind Spiegel. Spiegel, mit denen der schottische Videokünstler Douglas Gordon sein Vexierspiel zwischen Kunst und Wirklichkeit noch einmal ins Unendliche getrieben hat. Willkommen im Spiegelland.

Ein Spiegelfechter ist der 40-jährige Schotte, der neben Doug Aitken und Stan Douglas als einer der Protagonisten der mittleren Videokunst-Generation gilt, schon immer gewesen. Einer, der Bilder lustvoll zerlegt und zersplittert, verdoppelt oder ins Gegenteil verkehrt. Und der der vermeintlichen Gewissheit medialer Bilder den Zweifel, die Täuschung entgegensetzt: Nichts ist, wie es scheint. Kein Wunder, dass er auch in Wirklichkeit lustvoll mit Identitäten spielt, auch einmal als Andy Warhol, Kurt Cobain oder Marilyn Monroe auftritt und auf der Pressekonferenz in Wolfsburg der Journalistenschar ein ganzes fiktives Familienszenario auftischt. Und ebenfalls kein Wunder, dass er sich als Gegenstand seiner Kunst das illusionsfreudigste Medium gewählt hat: das Kino. „Das Kino ist tot. Es lebe der Film“, hat Gordon schon früh verkündet – und die vermeintlich tote Form auf einen monumentalen Sockel gehoben. Die ästhetische Brillanz und die emotionale Wucht seiner Videoarbeiten nimmt es mit den Vorbildfilmen locker auf. Sei es, dass eine Kamera in „Play Dead: Real Time“ einen dressierten Elefanten umkreist, der sich in der Gagosian Gallery in New York zum Sterben niederlegt, minutenlang auf faltiger Haut, wuchtigen Füßen, traurigen Elefantenaugen verharrt und das Ganze dann auf zwei riesigen Videowänden im Raum präsentiert wird. Oder sei es, dass ein winziger Videoschirm mit „B-Movie“ eine Fliege zeigt, die mit den Beinen zappelt und zappelt und irgendwann nicht mehr zappelt, sondern stirbt. In beiden Fällen, dem langlebigen Dickhäuter oder der Tagesfliege, geht es um Leben und Tod, Stärke und Schwäche. Gegensatzpaare, wie sie Gordon liebt. So auch in der titelgebenden Arbeit „Between Darkness and Light“, in der er die Filme „Das Lied der Bernadette“ und „Der Exorzist“ übereinanderprojiziert: Gut und Böse, Licht und Dunkelheit, Marienglaube und Satanskult verschränken sich auf polemische Art.

Der Hausheilige des Gordon’schen Universums aber ist Alfred Hitchcock. Ihn hat auch das Kunstmuseum Wolfsburg ins Zentrum der Installation gestellt: mit zwei sehr unterschiedlichen Videoarbeiten Gordons, die sich perfekt ergänzen – und sich praktischerweise beide auch in der exquisiten Sammlung des Museums befinden. „24 Hour Psycho“, die legendäre Arbeit von 1993, in der Gordon Hitchcocks 110-minütigen Horrorfilm auf die Länge eines ganzen Tages dehnt, zitiert natürlich Andy Warhols Endlosfilme wie „Empire“ oder „Sleep“ – und geht doch anders vor: die Verlangsamung der Filmbilder hebt den durch Montage erzeugten Spannungseffekt auf und verwischt die Erinnerung, etwa in der berühmten Duschszene, die in 24 Schnitten keinen einzigen Stich zeigt. Der Zuschauer irrt in diesem Klassiker der Filmgeschichte herum und weiß nicht, an welcher Stelle er gerade ist, zumal der Sound des Filmes fehlt. Nur das dämonische Bild von Anthony Perkins bleibt, fast als Filmstill, im Kopfe stehen.

Den entgegengesetzten Weg wählt Gordon in „Feature Film“, eine Arbeit von 1999. Hier ist alles Sound. Gordon hat den Dirigenten James Conlon gemeinsam mit dem Orchester der Opéra National de Paris Bernard Herrmanns berühmte Filmmusik zu Hitchcocks Psychothriller „Vertigo“ neu einspielen lassen. Während die hochemotionalen Geigentremoli durch den Raum ziehen, sieht man auf den beiden einander gegenübergehängten Videowänden nur Conlon beim Dirigieren: seine Hände, seine Augen, sein Gesicht. Das alles jedoch in Nahaufnahme, wie sie auch Hitchcock in „Vertigo“ exzessiv eingesetzt hat: die konzentrierten, intensiven Augen des Dirigenten, der dem Protagonisten James Stewart auch noch physisch ähnlich sieht, entwickeln einen ähnlichen Sog- und Suspense-Effekt. Der Film entsteht aus Tönen neu.

Erstmals sind in Wolfsburg Gordons Arbeiten nicht in einzelnen Videokabinen, sondern simultan, in einer einzigen Rauminstallation zu sehen. Mit interessantem Effekt: Dreht man sich, den „Vertigo“-Sound im Ohr, im dunklen Raum einmal im Kreis, sieht Anthony Perkins starre Augen durch die raumhohen Spiegel mehrfach vervielfältigt und dann dem traurigen, massigen Elefanten beim doppelten Sterben zu, kommt die Magie, die Emotion, quasi durch die Spiegeltür doch wieder herein. Es mag von Douglas Gordon alles noch so kritisch, dekonstruktivistisch und antiillusionistisch gemeint sein – die menschliche Sehnsucht nach Synthese ist einfach stärker.

Douglas Gordon, Between Darkness and Light, Kunstmuseum Wolfsburg, bis 12. August, Katalog (Hatje Cantz) 26 €

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