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Kultur: Kir Royal auf der Wartburg

Es geht nicht, aber es geht! Demgemäß ist die Publikumsmeinung am Eröffnungstag der Festtage in der Berliner Staatsoper geteilt, aber die Zustimmung siegt.

Es geht nicht, aber es geht! Demgemäß ist die Publikumsmeinung am Eröffnungstag der Festtage in der Berliner Staatsoper geteilt, aber die Zustimmung siegt.Harry Kupfer ist kein Regisseur, dem das Risiko nicht bewußt wäre, das er auf sich nimmt, wenn er Richard Wagners "Tannhäuser" in eine moderne Welt verlegt.

Die teure Halle auf der Wartburg hat in der Ausstattung Hans Schavernochs den Charme eines Funkhaus-Sendesaals.In der Höhe hinter der letzten Sitzreihe erscheinen im Frack, wie es sich gehört, Mitglieder der Staatskapelle, um die "Trompeten auf dem Theater" zu stellen.Und schon nahen die thüringischen Ritter, zahlreicher als sonst, wie es im Text heißt, weil Elisabeth, die Nichte des Landgrafen, des Festes Fürstin sein wird.Sie sind kostümiert (Buki Shiff) wie ein diplomatisches Corps beim Neujahrsempfang durchmischt mit einer Schickeria à la Kir Royal.Manche unter den Edelfrauen haben Erlaubnis, das hohe Fräulein mit Wangenküßchen links und rechts zu begrüßen und im schulterfreien Abendkleid die Worte der "Edelknaben" zu übernehmen.Sektkelche zieren das Party-Bild.

Und nun geschieht das Absurde, daß diese Gesellschaft (Harry Kupfer liebt Gesellschaftsporträts), die von sexueller Befreiung heute doch schon einiges mitgekriegt haben dürfte, mehr als erregt ist, weil einer der auftretenden Künstler sich zeitweise bei Frau Venus wohlgefühlt hat."Ein furchtbares Verbrechen ward begangen." Dank dem Einspruch der "reinen Jungfrau" Elisabeth wird Tannhäuser nicht gerichtet, sondern auf Pilgerfahrt nach Rom geschickt.Wie soll diese Geschichte in unsere Gegenwart passen und zu unseren Promis passen?

Zunächst einmal entwickelt der zweite Aufzug mit dem "Sängerkrieg auf Wartburg"unter der musikalischen Leitung von Daniel Barenboim eine Eigendynamik, die Einwände erstickt.Es wird fulminant gesungen - und im wesentlichen auch agiert.Angela Denoke ist eine Elisabeth, die Musik wie aus ihres "Herzens Tiefe" singt, souverän in der Technik, reich an stimmlicher Schönheit und Nuancierung.Die Gefühlsskala von Nachdenklichkeit bis zu verliebtem Überschwang wird optisch beglaubigt, indem die Sängerin zunächst kauernd in der ersten Reihe des noch leeren Auditoriums die Vergangenheit wachruft - "Da er aus dir geschieden" - und sich schließlich von ihrem stürmischen Verehrer über den schwarzen Konzertflügel ziehen läßt, der als Kunstsymbol die Bühne dominiert.Dieser Tannhäuser ist Robert Gambill, ein Tenor mit erstaunlichen Reserven und einem Impetus, der in der Romerzählung des dritten Akts seinen Höhepunkt erlebt.Kupfer verdammt den Titelhelden nicht einseitig, indem er ihn mit dem Verantwortungsgefühl eines Popstars ausstattet - "er schwankt ja wie ein Rohr im Wind".Auch Liebreiz, allerdings der überheblichen Art, Heimatlosigkeit und Schutzbedürfnis bestimmen das komplexe Wesen dieses Künstlers, der kindlich seinen Kopf im Schoß der Elisabeth wie der Venus birgt.

In den lauten Turbulenzen und Konflikten des Wartburgaktes fällt auf, daß auch Elisabeth allein ist, wenig Verständnis findet und der Landgraf (Robert Holl mit Basses Würde) sie mitnichten "ihr Gesicht an seiner Brust" bergen läßt.Sie hat nur diesen einen Menschen Tannhäuser, zu dem sie steht, mit der Unbedingheit ihrer mutigen Persönlichkeit.Walther von der Vogelweide (Gunnar Gudbjörnsson) ist ein Angeber und Wolfram von Eschenbach ein Lügner, wenn er die versammelten Männer "tapfer, deutsch und weise" und deren Frauen "hold und tugendsam" nennt.Roman Trekel macht aus dem Schicksal Wolframs einen Entwicklungsroman zum Lyriker hin, der sein Lied an den Abendstern sucht und findet.Er hat erlitten, daß Elisabeth selbstbewußt in den Tod gehen und seine Begleitung auf ihrem Weg abweisen muß.Hier inszeniert Kupfer am strengsten nach Wagners Anweisungen.

Der erste und der dritte Aufzug sind nur aus der Korrespondenz mit dem zweiten zu verstehen.Daher läuft die Aufführung, die von Ungeschicklichkeiten nicht frei ist, etwas schwer an.Unser Zeitgenosse Tannhäuser erträumt sich einen Venusberg in Abhängigkeit von seiner Wartburgwelt, der er in der Partitur auch musikalisch verpflichtet ist.Im Bacchanal der Dresdner Fassung gibt es eine abendländische Mixtur aus Romanik, Herrenchiemsee, "Schönheit-Abend", wie das Varieté der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert seine Nacktdarstellungen nannte, und schließlich den versteinerten Konzertflügel.In dieser Vision ist der Lack ab, das Instrument sieht nach schadhaftem antikem Marmor aus und ist Sitz der Frau Venus.Für die gefeierte Waltraud Meier, das einzige Ensemblemitglied der ganzen Produktion, das nicht in seiner Rolle debütiert, ist die erweiterte Pariser Fassung der Partie gewählt worden.Als eine Dame in dunkelrotem Samt und schwarzem Haar sucht sie Tannhäuser zurückzuhalten mit ihrer wunderbar gesungenen Arie "Geliebter komm", bevor ihr Sänger sich endgültig der Marienstatue zuwendet, das Mailied des Hirten (klar und anmutig: Dorothea Röschmann) erklingt und die Pilger als Reisende mit Koffern aus der Versenkung auftauchen.

Der Venustraum ist so mit der Erinnerung an Elisabeth gemischt, das Paar auf dem weißen Flügel verhält sich ähnlich dem auf dem schwarzen.Und wenn Tannhäuser in der Wartburg dem Schwung seines Venusliedes anheimfällt, kniet er vor Elisabeth, ihrer Sinnlichkeit in blauem Kleid und blondem Haar.Die Vermittlung zwischen den Sphären, die hiermit von der Regie geschaffen wird, ist interessanter als bekannte Versuche, beide Sopranpartien mit einer Sängerin, so sie sie bewältigt, zu besetzen.

Daniel Barenboim macht mit der Staatskapelle seine romantische Seelenmusik dazu, Klarinetten, Hörner und Fagotte intonieren den keuschen Pilgerton, den die Streicher aufblühen lassen und der Staatsopernchor weiterträgt.Der Magier Richard Wagner preist die Venus.Sehr ruhig und innig begleiten die Holzbläser den Abgang Elisabeths, der wahrhaftigsten Figur der Oper.

Bleibt die Frage, ob sich das Stück in modernem Gewand spielen läßt.In den Augen der mittelalterlichen Christenväter war Venus ein Dämon, ihr Stern der Liebe aber stand am Himmel.Die antiken Götter wurden in die Hölle geschickt.Bei Richard Wagner verquickt sich die Legende mit dem "Tannhäuser"-Gedicht Heinrich Heines, das eine Parodie ist.

Dennoch haben Entsetzen, Abscheu, Bestürzung, die unsere zeitgenössischen Wartburgleute auf der Bühne der Lindenoper ergreifen, als sie von Tannhäusers Sündenfall hören, einen irrationalen Grund: Wagners Stück übermittelt durch das 19.Jahrhundert hindurch den Mythos, den Schock, die Urangst, den Rausch in die Gegenwart.Kupfers zweiter Aufzug wird spielbar und hat, anders als Peter Konwitschnys liebevolle Meisterinszenierung in Dresden 1997, die Zeitschichten des Werkes zum Thema: das meint heute und hier eine kritischere Sicht auf den anarchischen Künstler wie die verlogene heile Welt.

Wieder am 2.und 11.April sowie 8.Mai

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