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Klänge des Verschweigens: Wagner für die SS

Der Film „Klänge des Verschweigens“ erzählt, wie der schwule Musiker Willi Heckmann die KZ-Haft überlebte.

Der Titel wirkt wie ein Paradoxon: „Klänge des Verschweigens“. Kann das Schweigen überhaupt klingen, ist es nicht einfach stumm? Doch im Deutschland der Nachkriegszeit, das zeigt dieser bewegende Dokumentarfilm von Klaus Stanjek, muss das Schweigen ohrenbetäubend gewesen sein. Immer wieder sind vergilbte Schwarz-Weiß-Fotos zu sehen, auf denen Menschen im Wohnzimmer, bei einer Karnevalssitzung oder in der Gaststätte miteinander feiern. Sie lachen, schunkeln, singen. Mittendrin: ein rundlicher Herr mit Akkordeon, der wie die Inkarnation von Wirtschaftswunder und Fresswelle erscheint. Willi Heckmann, der Onkel des Regisseurs, galt als Stimmungskanone. Erst bei der Feier zu dessen 90. Geburtstag erfuhr Stanjek von einem anderen, weniger fröhlichen Teil in der Biografie seines Onkels. Der Willi, hieß es in einem Nebensatz, sei „im Lager“ gewesen.

Gerade weil die deutsche Nachkriegsgesellschaft so vieles vergessen wollte, musste umso heftiger gefeiert werden. Konfliktbeladene Themen seien in seiner Familie, konstatiert Stanjek, „mithilfe von Sahnetorten vermieden“ worden. Der Filmemacher, der an der Potsdamer Filmhochschule unterrichtet, hielt die Geschichte seines Onkels schon früh für einen guten Stoff. Doch Heckmann, der 1995 fast hundertjährig starb, wollte keinen Film über sein Leben, „nicht solange ich lebe“. Denn er war 1937 als Schwuler wegen des berüchtigten Paragrafen 175 zu „Schutzhaft“ verurteilt worden und musste acht Jahre in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen überstehen. Für das eine wie das andere hat sich der Mann, der noch mit 68 Jahren eine langjährige Freundin heiratete, offenbar bis zu seinem Tod geschämt.

Willi Heckmann mit Akkordeon als Mitglied des Häftlingsorchesters von Mauthausen.
Willi Heckmann mit Akkordeon als Mitglied des Häftlingsorchesters von Mauthausen.

© Archiv Klaus Stanjek/Cinetarium

„Klänge des Verschweigens“ ist ein Porträt voller Fehlstellen und Fragezeichen geworden, eine biografische Annäherung in Form einer Detektivgeschichte. Denn viele Dokumente sind

vernichtet, und es leben kaum noch Zeitzeugen, die Auskunft geben könnten. Und die noch leben flüchten sich immer noch ins Schweigen. „Wir wollen darüber nicht sprechen“, sagt die Mutter des Regisseurs. Dann erzählt sie aber doch von ihrer Karriere im „Bund Deutscher Mädel“ und versichert: „Mit Politik hatten wir dort nicht viel zu tun.“ Und eine Tante bemerkt zur KZ-Zeit ihres Bruders bloß schroff: „Das wird abgehakt, wie alles andere auch.“ Abhaken, verdrängen, weitermachen: die Überlebensstrategien der Davongekommenen.

So beginnt Stanjek eine Reise in die Vergangenheit, von Altena, wo sein Onkel geboren wurde, über Wuppertal, wo er aufwuchs und seine Laufbahn als Alleinunterhalter begann, bis nach Passau, wo er während eines Gastspiels als „lyrischer Tenor“ verhaftet wurde. Die Bilder von seiner Fahrt ins österreichische KZ Mauthausen unterlegt er mit einem Schlager der Comedian Harmonists: „Eine kleine Frühlingsweise“. Wahrscheinlich war es die Musik, die Heckmann das Leben rettete. Er trat mit einem Trio bei SS-Geburtstagsfeiern im Offizierkasino auf und gründete 1942 mit anderen Gefangenen das Lagerorchester. Sie mussten Richard Wagner oder Verdi spielen, wenn NS-Größen wie Heinrich Himmler das KZ besuchten.

Bei den Feiern zum Tag der Befreiung erfährt Stanjek von einem ehemaligen Häftling, warum sein musizierender Onkel auf einem KZ-Foto so ernst guckt. Hinter der Kapelle wird ein Gefangener, der einen Fluchtversuch unternommen hatte, auf einem Wägelchen zum Galgen gezogen. Die Musiker spielen „Alle Vögel sind schon da“. Von den 200 000 Gefangenen, die das Lager bis Kriegsende durchliefen, starben mehr als die Hälfte. Besonders im Steinbruch, wo Granit für Hitlers Monumentalbauten gewonnen wurde, war die Todesrate immens. Aber die Orchestermusiker wurden von den SS-Wärtern geschont und bekamen zusätzliche Essensrationen. Willi Heckmann hat nach dem Krieg eine Entschädigung für seine KZ-Haft beantragt. Der Antrag wurde 1960 abgelehnt, mit der Begründung, er sei „nur als Homosexueller wegen Verbrechens gegen § 175 StGB in Haft“ gewesen. Die juristische Ausgrenzung von Schwulen – das ist die bittere Pointe dieses sehr sehenswerten Films – ging nach 1945 ungebrochen weiter.

Eva-Lichtspiele, Filmkunst 66, Hackesche Höfe, Moviemento

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