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Kultur: Klang und Marke

Zum Streit um Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker

Fast schön zu nennen ist die Folgerichtigkeit, mit der sich die Negativ-Publicity um Sir Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker seit einigen Wochen entwickelt, schön, glasklar und zwingend. Die Vorwürfe, vor allem gegen Simon Rattle selbst, sind zwar massiv. Er habe, schrieb Axel Brüggemann in „Park Avenue“, „das beste Orchester der Welt in eine tiefe Sinnkrise manövriert“. Die Philharmoniker hätten ihren „Seelen suchenden romantischen Ton“ verloren. Es gehe, stand wenig später in der „Welt“, nurmehr um „Wohlfühlen ohne Wehtun“. Zuletzt war in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ zu lesen, Barenboim und Thielemann stünden bereits in den Startlöchern, Rattles Nachfolge anzutreten. Auch in ausländischen Medien, etwa dem britischen „Guardian“, sorgt die Affaire mittlerweile für Schlagzeilen.

Aber der Stimmungsumschwung kommt nicht überraschend. Es war zu erwarten, dass den Hochgefühlen, die sich mit Rattles Einstand im September 2002 verbanden, Ernüchterung folgen würde. Sir Simon von der Sonne ist ganz einfach angekommen. Er hat – wie versprochen – Musik in die ganze Stadt gebracht, in jeden Haushalt gewissermaßen und jede Schule. Seine Art zu dirigieren, die offen zur Schau gestellte, bisweilen aufgesetzt wirkende Lust am musikalischen Augenblick hat den Reiz des Neuen verloren.

Gleichzeitig war dieser philharmonische Frühling gesäumt von einer Serie ungewöhnlicher Konzerte. Ein durchwachsene „Johannespassion“. Ein krachbunter Abend mit Gustav Holsts „Planeten“ und vier Auftragskompositionen. Die Education-Vorstellung, zu der erneut tausende von Jugendlichen und Angehörigen in die Treptower Arena pilgerten. Das Repertoire-Außenstück „Manfred“ unter Abbado. Und dazwischen, fast unauffällig, ganz normale Abende: Debussys „Pelléas“, konzertant. Mozart mit Barenboim, Strauss unter Thielemann oder Mahler mit Haitink (s. S. 24).

Einige dieser Konzerte wurden von ausufernder PR-Arbeit begleitet. Es entstand ein regelrechter Hype um die Breitenbildung, die Auftragskompositionen oder den Preis der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“. Den die Philharmoniker im Übrigen zu Recht erhalten. Bis zur Übererfüllung kommen sie der Aufgabe der Selbstvermarktung nach. Die seit Jahren an die Klassikszene herangetragene Forderung, selbst für jene Vermittlungsleistung aufzukommen, die von Schulen und Elternhäusern nicht erbracht wird, zieht allerdings schon wieder problematische Konsequenzen nach sich.

In Wirklichkeit geht es der Diskussion weniger darum, ob die Philharmoniker ihren Klang verlieren oder die Stimmung im Orchester umschlägt. In einem so großen Ensemble gibt es immer Meinungen. Zu allem. Außerdem können die Philharmoniker alles spielen, auch wenn die Repertoireauswahl das zuletzt nicht ständig unter Beweis stellte. Sie können barock spielen. Modern. Neu sowieso. Der „deutsche“, „Wiener“ oder „böhmische“ Klang, wie er womöglich von anderen Orchestern ausgeht, ist so wenig definierbar, wie er einen wettbewerbsnotwendigen Vorzug darstellt. Dass die Philharmoniker alle Klang- und Stilregister bedienen können, ist ihr besonderer Standortvorteil unter den Spitzenorchestern der Welt.

Der Kern des Problems liegt an anderer Stelle, in der Verwässerung der Marke „Berliner Philharmoniker“. Jemand, der wie Sir Simon Rattle sagt, wenn er an eines glaube, dann daran, dass „diese Musik für alle ist“, hat einerseits Recht. Andererseits verkennt er, wie sehr die klassische Musik nach wie vor von der Distinktion lebt und ein Orchester wie die Philharmoniker vom Konzept des Elitären. Die Education-Projekte und Rattles volksnahes Auftreten haben zwar Impulse gesetzt, die landesweit ausstrahlen. Für das Umdenken der Musikerzieher, die Kehrtwende von der rezeptions- zurück zur produktionsästhetischen Bildung war das essenziell. Dennoch gefährdet all dies zugleich den Markenkern: Passen denn die Attribute etwa der Jugendarbeit zum gewünschten Image? Sind die Philharmoniker wirklich ein Orchester für alle? Bedurften sie notwendigerweise, wie es in Birmingham gewesen sein mag, eines breiten Rucks durch die Stadt, um als Phönix aus der Asche steigen zu können?

Mit Eifersucht und Argwohn, so scheint es, beurteilen die Rattle-Kritiker den philharmonischen Außenauftritt. Und verwechseln ihn mit dem, was tatsächlich gespielt, programmiert und geplant wird. Die neue Saison wird andere Schwerpunkte bringen. Dass man in aller Ruhe darüber nachdenken muss, wie das menschliche Urbedürfnis zu musizieren übereinzubringen wäre mit neo-biedermeierlichen Fantasien und dem Wunsch nach aurastarken, hochraffinierten Hörerlebnissen, ist offensichtlich. Den Philharmonikern sei die berühmte ruhige Hand gewünscht – den Kritikern aber die Frage gestellt, wie sehr es ihnen auch um Besitzstandsdenken geht, um die Angst, dem nationalen Eigentum „Berliner Philharmoniker“ könnte es kulturbasisdemokratisch an den Kragen gehen.

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