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Kultur: Klangrede statt Klangrausch

Nikolaus Harnoncourt dirigiert das Chamber Orchestra of EuropeVON BORIS KEHRMANNDas Verhältnis zwischen Nikolaus Harnoncourt und den jungen Musikern des Chamber Orchestra of Europe ist nach nun wohl bald 15 Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit unverkennbar kameradschaftlich geprägt.Man spielt - im doppelten Sinne - miteinander.

Nikolaus Harnoncourt dirigiert das Chamber Orchestra of EuropeVON BORIS KEHRMANNDas Verhältnis zwischen Nikolaus Harnoncourt und den jungen Musikern des Chamber Orchestra of Europe ist nach nun wohl bald 15 Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit unverkennbar kameradschaftlich geprägt.Man spielt - im doppelten Sinne - miteinander.Und so ist denn vieles außergewöhnlich an diesem Abend im Kammermusiksaal der Philharmonie.Zum Beispiel die Sitzordnung: die ersten Geigen sind älterem deutschem Brauch entsprechend links, die zweiten rechts vom Dirigenten plaziert, dazwischen Celli und Bratschen.Wenn Haydn im Finalsatz der Sinfonie Nr.104 das einprägsame Hauptthema erst von den ersten Violinen, in der Wiederholung aber von den zweiten intonieren läßt, dann wandert das Ohr unwillkürlich von links nach rechts mit und vollzieht die kleine musikalische Überraschung körperlich nach, noch bevor es sie intellektuell erfasst.Oder die drei Kontrabässe: sie sind hier mit Darmsaiten bespannt und werden mit Barockbögen gestrichen.Das trägere organische Material bewirkt, daß der Ton nicht sofort "da" ist, sondern den Bruchteil einer Sekunde zum Einschwingen braucht.Genau diese Verzögerung hat Haydn in die Auftaktigkeit des Menuetts einkomponiert."Tanzboden total" ist der Eindruck, der entsteht.Die absolut vibratofrei gehaltenen langen Töne der Einleitung schaffen den paradoxen Zustand einer entspannten Spannung.Selbst die Pauken beteiligen sich im Kopfsatz als vollwertige Instrumentalfarbe an der thematischen Arbeit.Das Hörergebnis ist eine Sinfonie, die Klangrede und nicht Klangrausch ist. Ungewöhnlich, aber für den freundschaftlichen Geist wie den künstlerischen Rang des COE kennzeichnend, ist auch der Umstand, daß Thomas Zehetmair, der alles gebende und alles wagende Solist des Mendelssohnschen Violinkonzerts, in den Sinfonien die Rolle des Konzertmeisters übernahm.In der "Frühlingssinfonie" trat Schumanns oft gerügter eigenwilliger Umbau des Orchesters deutlich in Erscheinung: das mehr als verdoppelte Blech machte dem in unveränderter Größe antretenden Streicherapparat seine Führungsrolle streitig.Harnoncourt zieht daraus im Kopfsatz die Konsequenz einer nervös-gereizten Symbiose, die zu katastrophischen Steigerungen hochgeputscht wird.Im weiteren Verlauf kehren die fliessenden Linien der Holz- und Blechbläser und der Geist der Gelassenheit zurück, um sich im Finale zu hymnischer Fröhlichkeit zu steigern.

BORIS KEHRMANN

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