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Kultur: Klassik im Kammermusiksaal der Philharmonie

Mit Kammerorchestern verhält es sich in Berlin so ähnlich wie mit Döner-Buden: Keiner weiß wirklich wie viele es gerade gibt. Und selbst bei den Läden, die man zu kennen glaubt, sorgt immer wieder das Schild "Neue Bewirtschaftung" für zusätzliche Verwirrung.

Mit Kammerorchestern verhält es sich in Berlin so ähnlich wie mit Döner-Buden: Keiner weiß wirklich wie viele es gerade gibt. Und selbst bei den Läden, die man zu kennen glaubt, sorgt immer wieder das Schild "Neue Bewirtschaftung" für zusätzliche Verwirrung. Das Deutsche Kammerorchester beispielsweise galt lange als Privatgründung des Dirigenten Fritz Weisse. Im Dezember 1989 aus Musikern der beiden gerade erst wieder vereinten Stadthälften zusammengestellt, pflegte Weisse hier seinen Personalstil. Seit einem guten Jahr aber hat die jeweils projektweise zusammengetrommelte Truppe einen neuen Musikchef: Burkhard Glaetzner will mit neuen Ideen und Themen-Konzerten dem Deutschen Kammerorchester zu neuem Ruhm verhelfen - und vor allem auch zu mehr Publikum, denn das Ensemble lebt zu 95 Prozent von Einnahmen aus Kartenverkäufen. Also werden die Programme jeweils dreimal gespielt: Der kleine Konzerthaus-Saal am Gendarmenmarkt war am ersten Abend des "Mit russischem Feuer" betitelten Programms mäßig besucht - und leider auch nur mäßig geeignet für das ehrgeizige Vorhaben, Tschaikowskys "Souvenir de Florence" aufzuführen. Nicht nur, dass die 18 Musiker kaum auf der Mini-Bühne Platz fanden, auch die Akustik des Kammersaales ist für den üppigen Tschaikowsky-Sound einfach nicht ausgelegt. Vor allem, wenn man wie Glaetzner die italienischen Reiseerinnerungen als hochemotionale Romanhandlung liest und darum das stürmische Auf- und Abschwellen der Streicher voll ausreizt. Den Raumverhältnissen viel angemessener waren da die beiden "modernen" Stücke des Abends: Schnittkes Roll-Over-Rokoko-Posse "MOZ-Art à la Haydn" mit Matthias Wollong und Knut Zimmermann als souveränen, etwas zu ernsthaften Violinsolisten und vor allem Schostakowitschs c-Moll Kammersinfonie. Die Bearbeitung des 1960 beim Besuch des zerstörten Dresden entstandenen Streichquartetts für kleines Orchester kann sich in seiner ganzen unerbittlichen Bitterkeit entfalten: Wie Glaetzner und die Musiker die zerbrechlich-bleichen Klangflächen der Ecksätze aufbauen, wie sie die beängstigende Energie der Motorik freisetzen, im makabren Walzer des Allegretto die Spannung zwischen Hoffnungsschimmer und Wahnsinn halten, zeigt die Größe des Humanisten Schostakowitsch: Wer jemals glaubte, diese Musik politische vereinnahmen zu können, hat nie richtig zugehört.Noch einmal am 20. Januar, 19.30 Uhr, Kammermusiksaal der Philharmonie

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